LESERBRIEF: Gefährliche Risse
Erstaunlich, dass in der Debatte um „Einsatzreserve“ bzw. Streck- oder Weiterbetrieb der AKW Isar 2 und Neckarwestheim 2 sowie aktuell auch Emsland sicherheitstechnische Aspekte der Anlagen kaum eine Rolle spielen.
Immerhin befasst sich der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim am 14. Dezember in einer Hauptverhandlung aufgrund einer Klage von Anwohnern des AKW Neckarwestheim 2 gegen die Betriebsgenehmigung des Reaktors mit genau diesen Fragen.
Tatsächlich treten in dem ca. 120 km vom Kreis Bergstrasse entfernten Druckwasserreaktor seit 2018 vermehrt Risse durch Spannungsrisskorrosion an der neuralgischsten Stelle des Reaktorkreislauf auf, an den Dampferzeuger-Heizrohren.
Für mich ist es zumindest „irritierend“, wenn das grün geführte baden-württembergische Umweltministerium als Aufsichtsbehörde den Reaktor trotz neuer Rissbildungen immer wieder ans Netz lässt.
Der Bundeswirtschaftsminister begründet die geplante Laufzeitverlängerung bis ins Frühjahr 2023 mit den aktuellen Ausfällen französischer AKW. Dies ist insofern erstaunlich, da einige dieser Reaktoren behördlich stillgelegt wurden, weil dort bei Zehn-Jahres-Kontrollen eben jene durch Spannungskorrosion entstandenen Risse wie in Neckarwestheim 2 entdeckt wurden.
Das Fatale: Umfang, Richtung und Geschwindigkeit des Risswachstums sind nicht sicher vorhersehbar. Mit zunehmender Alterung der Anlagen lassen sich zudem Leckagen kaum vermeiden, weil wir es in Neckarwestheim 2 mit vier Dampferzeugern mit jeweils etwa 4.000 Heizrohren, jedes im Schnitt etwa 13 Meter lang, Wandstärke 1,3 Millimeter zu tun haben, die erheblicher Belastung durch Druckunterschiede und Temperaturschwankungen ausgesetzt sind.
Einer der ersten Fachleute, der schon vor Jahren vor einem schweren Störfall infolge eines Dampferzeuger-Heizrohr-Lecks (DEHL) gewarnt hat, war meines Wissens nach der ehemalige Betriebsleiter des AKW Biblis B, Dipl. Ing. Helmut J. L. Mayer.
Seine Expertise ist aus meiner Sicht unbestritten. Er hat u.a. jahrelang Kerntechniker geschult, Störfall-Handbücher geschrieben und in internationalen Gremien mitgearbeitet.
Mayer sieht u. a. „eine relativ große Wahrscheinlichkeit, dass (bei Heizrohrlecks) zusätzlich die Hauptkühlmittelpumpen ausfallen“, wie er im Januar 2019 in einem Interview ausführte. In der Folge könne es aufgrund der nicht mehr zu bremsenden Kettenreaktion zu einem „nicht zu beherrschenden Störfall“ kommen.
Auch in der Hauptverhandlung vor dem VGH Mannheim am 14. Dezember werden zahlreiche Sachverständige zu Wort kommen. Man darf gespannt sein, ob Neckarwestheim 2 am Ende des Jahres noch eine Betriebserlaubnis hat.
Meiner Ansicht nach ist nicht auszuschließen, dass auch die AKW Isar 2 und Emsland - wie Neckarwestheim 2 Druckwasserreaktoren vom Typ „Konvoi“ mit etwa gleichem Betriebsalter - ebenfalls Risse in den Dampferzeugerheizrohren aufweisen.
Rainer Scheffler
Heckenwiesenweg 1
64686 Lautertal