Gertrud-Eysoldt-Ring geht an die Österreicherin Birgit Minichmayr
BENSHEIM. - Am Wiener Burgtheater ist sie ein Star. Und in der Filmbranche eine gefragte und erfolgreiche Charakterdarstellerin: Birgit Minichmayr verkörpert stets besondere Rollen – so wie in „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard.
Für ihr großartiges Spiel in der Inszenierung von Frank Castorf am Burgtheater in Wien wird die Österreicherin mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring ausgezeichnet. Den renommierten Theaterpreis erhält sie im März 2025 im Bensheimer Parktheater.
Die Stadt Bensheim und die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste gaben die Preisträgerin nach einer Sitzung des Kuratoriums der Ringelband-Stiftung bekannt.
Die Jury, bestehend aus Karin Henkel, André Jung und Jossi Wieler (Vorsitz), würdigt mit dem diesjährigen Gertrud-Eysoldt-Ring eine Schauspielerin, aus deren „Mund (…) die Suaden des österreichischen Dichters, die hinlänglich bekannt schienen, erschreckend neu sind: noch bissiger, derber, noch lauter, greller, provokanter und unverschämter, viel musikalischer und irgendwie auch klüger, trotz, oder eben wegen der so lustvollen spielerischen Übertreibung, die Birgit Minichmayr schamlos auf die Bretter schmettert“.
In einem „sich verausgabendem Ensemble von sechs Schauspielern, die die Rollen permanent tauschen oder Rollenzuweisungen einfach kraftvoll überschreiten, ragt Birgit Minichmayr besonders hervor“, begründet die Jury die Entscheidung und fährt fort:
„Grotesk und hochkomisch spielt Birgit Minichmayr, herzzerreißend singt sie - und dann spricht sie wieder mit einer Dringlichkeit, als sei die Wunde Wien(s), um die es geht in diesem Stück über Antisemitismus, Vertreibung und Exil, noch frisch oder soeben wiederaufgebrochen.
In der Rolle des Robert Schuster monologisiert sie einbalsamiert wie eine Mumie – zwischen Totenkult und dem, was nicht totzukriegen ist.“
Bewegungseingeschränkt durch die Bandagen, stellt sie ihre extreme schauspielerische Beweglichkeit unter Beweis: wie sie im Lauf der fünfstündigen Vorstellung zwischen elegischem Pathos und Ironie changiere und mit derselben Glaubwürdigkeit als Mann wie als Frau auftritt, sei zutiefst beeindruckend und maßgeblich für eine Aufsprengung des Stücktexts.
„Der Gertrud-Eysoldt-Ring soll die einzigartige Kunst von Birgit Minichmayr würdigen, die sich schon lange und vielfach als Ausnahmeschauspielerin in die Geschichte des Burgtheaters und in die Theatergeschichte schlechthin eingeschrieben hat“, heißt es abschließend in der Begründung der Jury, die in diesem Jahr das letzte Mal ihr Votum für den Eysoldt-Preis abgab.
Professor Hans-Jürgen Drescher, Präsident der Akademie der Darstellenden Künste, und Bürgermeisterin Christine Klein bedankten sich herzlich für das Engagement der Juroren.
Birgit Minichmayr, in Pasching in der Nähe von Linz geboren, erhielt ihre Schauspielausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Schon während ihrer Studienzeit wurde sie ans Burgtheater in Wien engagiert.
Nach einer Castorf-Produktion bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen wechselte sie 2004 zu Castorf an die Volksbühne in Berlin. 2007 kehrte sie nach Wien zurück, bevor sie 2011 ans Münchner Residenztheater ging, dann arbeitete sie frei. Birgit Minichmayr ist seit der Spielzeit 2019/20 wieder festes Ensemblemitglied an der Burg.
Die vielfach ausgezeichnete Schauspielerin, unter anderem mit dem Ulrich-Wildgruber-Preis und dem Nestroy-Theaterpreis, ist auch in zahlreichen Filmen zu sehen. Ihren Durchbruch als Filmschauspielerin hatte sie 2009 neben Lars Eidinger im Beziehungsdrama „Alle anderen“.
Birgit Minichmayr spielte außerdem in „Der Untergang“ sowie in Tom Tykwers Thriller „Das Parfüm“ nach dem Roman von Patrick Süskind mit. Zuletzt war sie in der österreichischen Tragikomödie „Andrea lässt sich scheiden“ in der titelgebenden Hauptrolle zu sehen.
Ihr Talent beweist sie aber nicht nur vor der Kamera oder auf der Theaterbühne: Mit Campino nahm sie ein Duett („Ertrinken“) für ein Album seiner Band „Die Toten Hosen“ auf. Mit dem Sänger schrieb sie zudem den Text zum Hit „Tage wie diese“. 2021 legte sie mit As an Unperfect Actor ein Album mit Vertonungen von Shakespeare-Sonetten vor.
Hintergrund:
Der Gertrud-Eysoldt-Ring gilt als einer der bedeutendsten Theaterpreise im deutschsprachigen Raum und wird seit 1986 jährlich in Bensheim vergeben. Mit der Vergabe des Gertrud-Eysoldt-Ringes, einem mit 10.000 Euro dotierten Ehrenring, würdigen die Stadt Bensheim und die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste eine schauspielerische Leistung an einer deutschsprachigen Bühne.
Erste Preisträgerin war Doris Schade, ihr folgten große Schauspieler wie Klaus Maria Brandauer, Cornelia Froboess, Corinna Harfouch, Nina Hoss, Ulrich Mühe, Ulrich Matthes, Tobias Moretti, Charly Hübner, Lina Beckmann und Sandra Hüller.
Der Gertrud-Eysoldt-Ring geht auf ein Vermächtnis des Journalisten und Theaterkritikers Wilhelm Ringelband zurück, der von 1944 bis zu seinem Tod in Bensheim lebte und in seinem Testament einen Schauspielerpreis mit dem Namen seiner Lieblingskünstlerin Gertrud Eysoldt verfügte.
Gertrud Eysoldt gilt als erste Feministin des deutschen Theaters. Sie war in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Max Reinhardt eine der bedeutendsten Theaterschauspielerinnen im Berlin des frühen 20. Jahrhunderts.
Finanziert wird die Verleihung des Eysoldt-Rings durch die Ringelband-Stiftung und dank des Engagements von Sponsoren. Als Wilhelm Ringelband 1981 ohne Nachkommen in Bensheim starb, hinterließ er ein Vermögen – und ein Testament mit Auflagen. Schließlich sollte sein Erbe dem Allgemeinwohl dienen.
Die Stadt Bensheim gründete daher 1983 nach dem letzten Willen des Verstorbenen die „Johanna-, Friedrich Wilhelm- und Will-Ringelband-Stiftung“, aus der seitdem die kulturellen und sozialen Testamentsverpflichtungen finanziert werden. Dazu zählt neben dem renommierten Theaterpreis auch das Ringelbandhaus, eine Wohngruppe für psychisch kranke Männer.