LESERBRIEF: Bensheims Bürgermeister Richter und sein Gerechtigkeitssinn
Auf meine Frage an Bensheims Bürgermeister Rolf Richter „Was würden Sie tun, wenn die Stadt genug Geld hätte für die Straßenbeiträge?“, kam die Antwort prompt: „Lassen wir einmal das Geld weg – ich war auch einmal Richter, es geht um Gerechtigkeit, dass >alle< bezahlen, bei den wiederkehrenden Straßenbeiträgen.“
Da zu diesem damaligen Treffen noch mehrere betroffene Bürger über die anstehenden Baumaßnahmen in Gronau ihre Anliegen persönlich beim Bürgermeister vorbringen wollten, hielt ich mich mit Zusatzfragen zurück. Meine Frage war beantwortet.
Wiederkehrenden Straßenbeiträgen bedeuten, dass >alle< Grundstückseigentümer in einem bestimmten Bereich (z.B. einem Stadtteil), zahlen. Aber nicht alle Steuerbürger der Stadt.
Der gerechte Ausgang, die Abschaffung der Straßenbeiträge in Bensheim, ohne die Grundsteuer zu erhöhen, ist bekannt. Besagtes Treffen fand im alten Rathaus in Gronau 2019 statt.
Der Bürgermeister wird sich bestimmt noch an seine Antwort von damals erinnern: Demnach war das Geld nicht ausschlaggebend für ihn, sondern der Sinn nach Gerechtigkeit!
Bleibt die Frage, wo ist der Sinn nach Gerechtigkeit beim Bürgermeister, wenn die Bürgermeisterwahl wegen der Corona-Pandemie verschoben wird, aber nicht der Wiedereinsetzung der Unterschriftensammlung der Bürgerinitiative „Bensheimer Marktplatz besser beleben“ stattgegeben wird, obwohl das Innenministerium das Vorliegen besonderer Umstände bestätigte, die zu einer Wiedereinsetzung in den Stand vor Erlass der Kontaktbeschränkungen führen muss.
Es geht hier keineswegs um eine Fristverlängerung über die von der HGO zugestandenen 8 Wochen hinaus. Dennoch empfiehlt der Magistrat der Stadtverordnetenversammlung nach drei vom Bürgermeister beauftragten Rechtsgutachten die Wiedereinsetzung abzulehnen.
Soll das etwa nur eine Test-Abstimmung werden, wer die meisten Stimmen in der Stadtverordnetenversammlung hat? Das ist ein ebenso raffinierter wie verwerflicher Schachzug, des Bürgermeisters, als „Vordenker“ des Magistrats.
Wenn die Abstimmung darüber erst einmal in die Stadtverordnetenversammlung kommt, dann werden die CDU und höchstwahrscheinlich die ihr inzwischen treu ergebene SPD zusammen die Mehrheit haben und den Antrag abgelehnen.
Somit wäre das Thema ein für allemal erledigt. Hauptsache die inzwischen bröckelnde Macht hat gesiegt! Ein solches Vorgehen ist für Bensheim unwürdig – und wäre das auch für jede andere Kommune!
Bensheim, einst >die< Stadt der Blüten und des Weines, inzwischen zur Stadt der Bauruinen, Schutthaufen, Leerstände und Schulden verkommen.
Soll dieses Verhalten nur als Machtdemonstration dienen, oder ist es auch Ausdruck der Angst vor einem Ideenwettbewerb?
Ein solcher Ideenwettbewerb wurde schon in den Veranstaltungen des Bürgernetzwerkes, das von der Stadt gebeten – oder besser gesagt, beauftragt – wurde, sich mit dem Marktplatz zu beschäftigen, vom Moderator als nicht zielführend abgetan und der Realisierungswettbewerb als beste Lösung gepriesen.
Als Teilnehmer aller Veranstaltungen im Kolping- und Rathaus sowie auch bei der Pseudo-Abstimmung, habe ich erlebt, wie die Moderation immer mehr auf eine Bebauung hin führte, ganz im Sinne der Auftraggeber! Auch im Arbeitskreis stand von den fünf Pinwänden nur eine halbe für die Frage: Was spricht gegen eine Bebauung?, zur Verfügung!
Bei der Abstimmung im Kolpinghaus mit grünen, gelben und roten Karten, war selbst dem Moderator und den Bürgern nicht ganz klar, was und wie sie nun abstimmen sollten!
Der zweimaligen Bitte von Teilnehmern, an den Moderator, er möchte doch über die „Nichtbebauung“ abstimmen lassen, wurde nicht stattgegeben.
Auch auf die Frage, ziemlich am Ende der Veranstaltung, an den Moderator – kommt noch eine Abstimmung darüber, die er mit „Ja“ beantwortet, wurde nicht erfüllt!
Durch die 1. Stadträtin, Frau Rauber-Jung (gefühlt damals, erst 14 Tage in Bensheim weilend und nur mit einer Stimme Mehrheit gewählt) wurde die von Bürgern vorgeschlagene kleine bewegliche Gastronomie mit Regionalen Produkten, als zu klein abgetan.
Behauptet wurde schlicht und einfach: Hier kann nur durch eine „große“ Bebauung der Marktplatz belebt werden! Hier stelle ich nun die Frage: Ist Frau Rauber-Jung, Bauingenieurin mit Schwerpunkt Verkehrswesen oder Marketing-Expertin?
Auch die spätere Aussage des Moderators, beim separaten Treffen der „Nicht-Bebauungs-Befürworter“, dass die Ideen sehr gut sind, und auch im Falle einer Bebauung Verwendung finden könnten, zeigte deutlich, wie alles auf eine Bebauung hinführen sollte.
Es wurde erwähnt, dass im Kolpinghaus die Abstimmenden eine nicht repräsentative Gruppe sei, und mehr Bürger gefragt werden müssten. Dazu meinte die erste Stadträtin: Die hätten ja alle kommen können!!
Aber wie hätten die über 3.000 Leute (die in der Fußgängerzone befragt wurden und gegen eine Bebauung sind) im Kolpinghaus Platz gefunden? Da hätte eher die Weststadthalle herhalten müssen! Liegt hier ein Realitätsverlust vor?
Viele Bürger fragen sich inzwischen, wie verantwortungslos und unwirtschaftlich mit ihrem Steuergeld umgegangen wird.
Der Bürger sagt - was soll ich bei einer Abstimmung, wenn das gewünschte Ergebnis schon vorher beschlossen ist. Ist doch nur Zeitverschwendung! Das ist der Frust des Bürgers weil er sich nicht ernst genommen fühlt.
Entweder macht man etwas „Richtig“ oder man lässt es bleiben, aber keine halben Sachen, wie den Kompromiss eines eingeschossigen Gebäudes. Entweder dreistöckig, eher wirtschaftlicher, als einstöckig, oder gar nichts (soll übrigens ein Kindheitswunsch des Bürgermeisters gewesen sein).
Der „Kompromiss“ eines einstöckigen Gebäudes kam in der Stadtverordnetenversammlung doch letztlich nur zustande, weil die SPD dies ursprünglich so vorgeschlagen hatte und es damit für die CDU nach dem Koalitionsbruch mit GLB und BfB der einzige Weg war, überhaupt noch einen Mehrheitsbeschluss zu erlangen!
Mehr aber nicht und auch diese „Steigbügelhalter“ werden sicher wieder fallengelassen wie ein heißes Eisen, wenn die anstehenden Wahlen im kommenden Frühjahr im Sinne der CDU verlaufen sollten!
Die 8 Millionen Euro, die vermutlich in Haushaltsplanentwürfen eingeplant sind, sollten für bessere Zwecke verwendet werden. Gerade jetzt in der Corona-Krise mit der inzwischen erfolgten Haushaltssperre.
Zum Verhalten des Bürgermeisters gegenüber seinen Bürgern fiel mir auch die Begegnung mit ihm in Gronau im vergangenen Jahr im Feuerwehrgerätehaus ein, als es einmal mehr um die Straßenbaumaßnahmen und die Straßenbeiträge ging.
Als ich den Bürgermeister fragte: Ob er nicht auch, wie viele seiner Kollegen, an den Ministerpräsidenten Volker Bouffier schreiben könnte, um ihn zu bitten die Straßenbeiträge abzuschaffen, antwortete er: „Das könnte ich machen, aber das ist das Papier nicht wert.“
Die Art und Weise wie die Stadt vom Bürgermeister derzeit geführt wird, ist nicht ermutigend. Dazu fallen mir das Bürgerhaus, der Neumarkt, das Hoffartgelände, der Neubau der Sparkasse (zuerst Kosten um 100% gestiegen, dann Umzug an den Berliner Ring), sowie jetzt die drei erwähnten juristische Gutachten ein.
Diese Fakten hegen in mir die Befürchtung, dass hier nicht die richtigen Leute in der Stadt-Führung vertreten sind. Sie haben nicht das geringste Gespür für die Sorgen und Nöte der Bürger, werfen ihnen stattdessen immer wieder Knüppel zwischen die Beine, wo es nur möglich ist.
Die Bürger sollten sich deshalb bei der nächsten Wahl des Bürgermeisters (könnte vermutlich schon am 1. November 2020 sein) genau und bestens überlegen wem sie ihre Stimme geben!
Die Bürger können schon etwas bewirken, wenn sich jeder persönlich mit voller Tatkraft und mit Energie einsetzt (z.B. in Bürgerinitiativen). Wir durften dies bei der Abschaffung der Straßenbeiträge im vergangenen Jahr erfolgreich erleben!
Der Bürgermeister hat ja auch schon einmal „Mut“ bewiesen als er die „Reißleine“ beim >Haus am Markt< zog. Womit er allerdings seinen Koalitionären, ohne Absprache in den Rücken fiel.
Jetzt könnte er noch mal Zivilcourage zeigen und sagen – was soll das Ganze, wir werden uns damit keinen Zacken aus der Krone brechen. Lassen wir den Bürgern ihren Ideenwettbewerb und sehen dann weiter, was zu realisieren sich lohnt, unter Beachtung der aktuellen und zukünftig zu erwartenden Haushaltslage.
Jürgen Noll
Bensheim-Gronau