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Wahrnehmungsverschiebung

Polizeipräsenz im Übermaß vor dem Landgericht Mannheim beim Prozess gegen eine Weinheimer Ärztin, die angeblich falsche Gesundheitszeugnisse ausgestellt haben soll: mit fünf Mannschaftswagen waren die Ordnungshüter auf Anordnung des Vorsitzenden Richters der 12. Kleinen Strafkammer des Landgerichts angerückt. Foto: er

SERIE, Teil 2: Monika Wagner beobachtete das Berufungsverfahren vom 07. November 2023 bis 20. Februar 2024 vor dem Landgericht Mannheim gegen eine Weinheimer Ärztin und deren Praxisangestellte wegen des Verdachts auf Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse

Heute berichten wir in unserer Serie vom Tag 2 der Berufungsverhandlung, 09. November 2023

Teil 1 ist nachzulesen unter: www.de-fakt.de/deutschland/details/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=23585&cHash=8147808e152b8147b93348259a77bcfa

Das Prozedere vor Betreten des Gerichtsaals ist identisch mit dem 1. Verhandlungstag. Erster Sicherheitscheck im Glaskasten, beim Betreten des Gerichtsgebäudes. Schließfach. Zweiter Sicherheitscheck vor dem Saal: Erfassen des Ausweises, elektronische Durchsuchung, Metalldetektor, Körperkontrolle.

Auf die Platzanweisung wird verzichtet. Der junge Mann vom lokalen Radiosender ist nicht da, ebensowenig der Pressefotograf, der Lokalreporter sitzt alleine in der zweiten Reihe.

Das Publikum nimmt nach und nach seine Plätze ab der dritten Reihe ein, flankiert von Sicherheitskräften der Polizei und Justiz. Auch heute ist dies die einzige Verhandlung an der ein solcher Aufwand betrieben wird. Die anderen Verhandlungsräume sind frei zugänglich.

Schöffin arbeitet beim größten Pharmaunternehmen Europas

Zu Beginn der Sitzung stellt Dr. Hirsch den Staatsanwalt Herrn Stork vor, welcher in der heutigen Sitzung die abwesende Staatsanwältin Frau König vertritt.

Zu Beginn der Verhandlung gibt es einen Einlass bezüglich der Schöffin J. Boaz, seitens der Verteidigung. Bedingt durch die Email-Aktion am ersten Verhandlungstag kam zufällig heraus, dass die Schöffin bei einem der größten Pharmaunternehmen Europas beschäftigt ist, der Phönix Group.

(Den Mannheimer Bürgern eher unter dem Namen Ferdinand Schulze, Arzneimittelgroßhandel Mannheim-Neckarau bekannt, ein Pionier in Sachen Prozessautomatisierung). Die Schöffin ist dort als Kreditmanagerin beschäftigt.

Die Phönix Group handelt als Pharmagroßhandel mit Arzneien und Apothekenkosmetik, medizinischen Ge- und Verbrauchsgütern, einschließlich medizinischer Masken und Impfstoffen.

So wurden von Neckarau aus die Corona-Impfzentren in der Region, sowie Apotheken und Arztpraxen mit Impfstoffen, Masken und Bedarfsartikeln beliefert.

Gemäß § 30 StPO empfiehlt die Verteidigung eine Selbstanzeige der Schöffin Boaz, sofern nicht bereits geschehen. Gleichzeitig stellt die Verteidigung einen Befangenheitsantrag. Der Staatsanwalt tritt der Anregung der Selbstanzeige entgegen.

Schöffin zeigt sich uneinsichtig

Es wird nochmals seitens der Verteidigung betont, dass dieser Umstand rein zufällig herauskam, aufgrund der Email-Adresse, welche die Schöffin zwecks Zusendung der schriftlichen Begründung zur Ablehnung des Selbstleseverfahrens angab. Die Schöffin J. Boaz aber sieht keinen Grund für eine Selbstanzeige.

Nachdem sich Frau Boaz in keiner Weise einsichtig sondern eher brüskiert zeigt, stellt die Verteidigung erneut einen Befangenheitsantrag mit der Bitte um Festsetzung einer Begründungsfrist bis zum kommenden Montag, 13. November 2023, 13 Uhr. Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf eine Erklärung.

Ich persönlich hatte den Eindruck der Vorsitzende Richter Dr. Hirsch hatte keine Ahnung, dass eine der Schöffinnen bei einem ortsansässigen Pharma-Großhandelsunternehmen tätig ist, welches gemäß seines eigenen Geschäftsberichts 2021/2022 Corona bedingt gute Umsätze machte (der Geschäftsbericht ist im Internet einsehbar).

Interessenskonflikt nicht offengelegt oder nicht erkannt

Ebensowenig kann ich nachvollziehen, warum die Schöffin sich die Unterlagen an ihren Geschäfts- und nicht an ihren Privat-Email-Account schicken ließ.

Für mich persönlich ist es unfassbar, dass die Schöffin

a) nicht vor Prozessbeginn den Interessenkonflikt erkannt und zur Sprache gebracht hat und

b) nicht ausgetauscht wird nach dem dieser Interessenkonflikt bekannt wurde. Anscheinend geht das nicht so einfach.

Mich erstaunt auch, dass dem Gericht nicht bekannt ist wo und in welchem Bereich die Schöffen tätig, ob sie bereits verrentet, Hausfrau oder arbeitslos sind.

Je nach Fall kann dies für die Beurteilung einer Sachlage ja doch entscheidend sein, schließlich sind die Schöffen Laienrichter und können den Vorsitzenden überstimmen. Und niemand kann seinen subjektiven Erfahrungsschatz völlig ausblenden.

Ein weiteres Ärgernis ist die Gerichtsprotokollantin, vermutlich eine Ukrainerin. Ich habe den Eindruck sie ist ein nettes, ziemlich schüchternes Mädchen.

Leider reichen ihre Sprachkenntnisse nicht aus, um hier ein korrektes Protokoll zu führen. Immerhin geht es bei der Hauptangeklagten um eine drohende Haftstrafe!

Überhaupt bin ich einigermaßen verwundert. Bisher dachte ich, dass es sich bei einer Tätigkeit an einem Gericht um eine hoheitliche Aufgabe handelt, welche die deutsche Staatsbürgerschaft und einen Amtseid erfordert.

Insofern verstehe ich nicht wie diese Aufgabe an eine Ukrainerin übertragen werden kann, da die Ukraine weder Mitglied der EU noch Mitglied der NATO ist.

Vielleicht gibt es ja ein spezielles Schulungsprogramm, um nach Kriegsende in der Ukraine eine ordentliche Gerichtsbarkeit einzuführen. So lieb das Mädchen auch ist, in dieser Situation ist sie fehl am Platz.

Als nächstes spricht die Verteidigung das Thema Datenschutz an. Man habe inzwischen Rücksprache mit dem zuständigen Datenschutzbeauftragten gehalten, wegen der fotografischen Erfassung von Personalausweisen bzw. Reisepässen der Prozessbeobachter einschließlich Pressevertreter.

Dr. Hirsch sieht auch hierin kein Problem und erklärt, dass die Daten nach 24 Stunden gelöscht werden.Was während dieser Zeit mit den Daten passiert erklärt er nicht.

Die Verteidigung kontert, sie sehe darin einen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz, da die Erfassung anlasslos sei. Als milderes Mittel könne gegen etwaige Störer, angesichts der Anzahl anwesender Polizei- und Justizbeamten, direkt vorgegangen werden.

Nur zur Erläuterung: Die nach Auffassung des Gerichts mutmaßlich renitente Zuhörerschaft gehört überwiegend der Generation 50plus an und verhält sich mucksmäuschenstill.

Nach einer erneuten Unterbrechung zwecks Beratung der Kammer erklärt der Vorsitzende Richter: „Die Sicherungsverfügung vom 13. Oktober 2023 bleibt aufrecht erhalten!“

Rechtsanwalt Lausen beantragt eine gerichtliche Entscheidung. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft sieht keinen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz und begründet seine diesbezügliche Haltung mit den „Vorkommnissen vor dem Amtsgericht Weinheim“.

Da ich bei der Verhandlung in erster Instanz in Weinheim nicht anwesend war weiß ich nicht, worauf er anspielt. Es folgt eine weitere kurze Unterbrechung.

Während der Pause erzählt mir meine Sitznachbarin, dass es vor dem Amtsgericht Weinheim zu Protesten gegen die Verhandlung kam und ein Großteil der Zuschauer, die den Prozess verfolgen wollten, gar nicht erst in den Gerichtsaal durfte.

Nach der Rückkehr der Kammer erklärt der Richter, er bleibe bei seiner Entscheidung. Die sicherheitspolizeilichen Maßnahmen bleiben bestehen.

Es folgt ein Einlass zur Sache durch den Verteidiger der mit angeklagten Praxisangestellten. Sie lässt erklären, nicht alle Emails mit ihrer Signatur stammen von ihr. Sie wird aber keine Angaben zur ausführenden Person machen.

Ferner stellt die Verteidigung einen Antrag Frau A. Als Protokollführerin auszutauschen - wegen mangelnder Deutschkenntnisse. Dr. Hirsch stellt sich schützend vor Frau A. Er erklärt, Frau A. ist Referendarin, in Ausbildung und wird von ihm betreut.

Normalerweise wären ihre Deutschkenntnisse gut. Vielleicht hat sie ja einen schlechten Tag oder die vielen Personen im Saal verunsichern sie – wer weiß?

Nach einer weiteren kurzen Unterbrechung, zwecks Beratung, erklärt Dr. Hirsch: „Die Protokollführerin wird ausgetauscht“, was nach kurzer Zeit auch geschieht. Es folgt eine Erklärung der Verteidigung zur Zeugin Hauptkommissarin Hertz.

1) Frau Hertz betrachte Atteste nicht als Gesundheitszeugnisse (auf die Unterscheidung dieser Begrifflichkeit war man bei ihrer Vernehmung vehement eingegangen).

2) Frau Hertz war nicht bekannt, dass die Mitarbeiterin von Dr. Jiang lediglich eine Halbtagsstelle in der Praxis habe und daher nicht an allen Tatvorwürfen (die Anzahl von 4.374 Attesten steht im Raum) beteiligt gewesen sein kann.

3) Rechtsanwalt Willanzheimer stellt einen Antrag das Verfahren gegen die Mitarbeiterin einzustellen.

Es folgt eine Erklärung von Rechtsanwalt Künnemann, dem Verteidiger der Hauptangeklagten Ärztin Dr. Jiang.

1) Nach Meinung von Hauptkommissarin Hertz hat niemand ein Gesundheitszeugnis ausgestellt bekommen. (Es geht erneut um die Unterscheidung Gesundheitszeugnis versus Attest).

2) Rechtsanwalt Künnemann hält es für unmöglich, dass die Schöffinnen 536 Seiten im Selbstleseverfahren binnen eines Tages durcharbeiten konnten, zumal Teile der Schriftstücke aufgrund der schlechten Druckqualität unlesbar seien. Er fragt nach dem Tagesablauf der Schöffinnen und stellt die Frage: „…wann haben Sie diese 536 Seiten gelesen?"

3) Einige der Urkunden in diesen Akten sind zweifelhaft in ihrem Beweiswert. Die ersten zwanzig Urkunden sind sogenannte Atteste, handelt es sich dabei um Gesundheitszeugnisse im Widerspruch zu § 249 Abs. 2 StPO.?

Dr. Hirsch fragt Staatsanwalt Stork, ob er ebenfalls eine Erklärung abgeben möchte. Er will nicht. Nach einer weiteren Beratung der Kammer erklärt der Vorsitzende Richter: „Der Antrag auf Bekanntgabe des Tagesablaufs der Schöffinnen ist unzulässig.“

An der Erklärung der Schöffinnen sie haben die 536 Seiten gelesen besteht für Dr. Hirsch kein Zweifel! Die Verteidigung stellt einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Dr. Hirsch fragt den Staatsanwalt ob auch er hierzu eine Erklärung abgeben möchte - will er nicht.

Es folgt eine kurze Unterbrechung. Nach der Besprechungspause verkündet Dr. Hirsch den Beschluss der Kammer:

„Die Durchführung des Selbstleseverfahrens und der Antrag auf Darlegung der Schöffin Boaz vom gestrigen Tag (Arbeitsplatz im Pharmagroßhandel) werden aus zutreffenden Gründen bestätigt.“ Die Verteidigung rügt die Art und Weise der Durchführung.

Es bestehe weiterhin der Verdacht der Nichtdurchführung angesichts der zur Verfügung stehenden Zeit, des Umfangs, der Lesbarkeit der Kopien, der unleserlichen teils handschriftlichen Listen und Patientenakten.

Die Verteidiger konnten diese nicht vollständig erfassen, so dass der Verdacht nicht ausgeräumt werden kann, dass die Schöffinnen gleichartige Kopien erhalten haben und diese ebenfalls nicht vollumfänglich erfassen konnten.

Dr. Hirsch fragt den Staatsanwalt ob auch er eine Erklärung abgeben wolle - will er nicht. Nach einer weiteren kurzen Unterbrechung, zwecks Beratung, ergeht folgender Beschluss: „Die Art und Weise war rechtmäßig.“

Die Schöffin Boaz erklärt, sie habe vom Inhalt der Akte Kenntnis genommen. Dies nötigt mir meinen größten Respekt ab. Ich bin nicht einmal fähig einen 536 Seiten Roman an einem Tag zu lesen.

Vermutlich wurden die Schöffinnen im Querlesen von Akten geschult. Anders kann ich mir nicht erklären, wie man dies neben seiner beruflichen Tätigkeit noch schaffen kann.

Da der Tagesablauf der Damen im Verborgenen bleibt, gilt meine Bewunderung in Sachen Selbstleseverfahren insbesondere der zweiten Schöffin Frau Jachin. Ich vermute sie ist bereits in Rente bzw. Pension.

Trotzdem halte ich das Lesen von 536 Seiten an einem Tag für sehr ambitioniert, egal in welchem Alter. Es folgt ein weiterer Befangenheitsantrag gegen die Schöffinnen und den Vorsitzenden Richter, die schriftliche Begründung soll bis Dienstag, 14. November 2023, 13 Uhr erfolgen.

Erneut wird der Staatsanwalt gefragt ob er sich zu diesem Antrag äußern möchte. Staatsanwalt Stork sieht keine Gründe dem Antrag zu folgen. Dr. Hirsch stimmt der gewünschten Frist zur Begründung bis zum kommenden Dienstag 13 Uhr zu.

Rechtsanwalt Willanzheimer widerspricht der Verwertung der Selbstleseunterlagen. Zudem wird ein Antrag gestellt die sicherheitspolizeilichen Maßnahmen gegenüber den Angeklagten zu lockern.

Bislang mussten die Angeklagten die gleichen Sicherheitschecks über sich ergehen lassen wie die Zuschauer, das heißt, nach jedem auch nur kurzzeitigen Verlassen des Gerichtsaals beginnt die Prozedur erneut.

Nur mit dem Unterschied, die Angeklagten wurden zu den Verhandlungsterminen geladen, wohingegen die Prozessbeobachter freiwillig hier sind.

Dem Antrag auf Lockerung der Maßnahmen gegenüber den Angeklagten wird stattgegeben. Um 11:25 Uhr wird der Zeuge nennen wir ihn „Herr Förster“ aufgerufen. Die Verteidigung hält diese Zeugeneinvernahme gemäß § 238 Abs. 2 StPO für unzulässig.

Staatsanwalt Stork sieht keine Unzulässigkeit gegeben. Erneute Unterbrechung. Beschluss der Kammer: die Zeugeneinvernahme wird bestätigt.

Es erscheint im Gerichtsaal M. Förster, 37 Jahre, Hauptsachbearbeiter bei der Kripo Heidelberg. Die Daten zu seiner Person werden offiziell festgestellt, das Vorliegen der Aussagegenehmigung abgefragt und die übliche Belehrung, zum Verhalten in der Position eines Zeugen, durch den
Vorsitzenden Richter erteilt.

Herr Förster war Hauptkommissarin Hertz unterstützend zugeordnet und hat den Schlussbericht geschrieben. Zu dem Ermittlungsverfahren dazugekommen sei er bei den Durchsuchungsmaßnahmen.

Sein Aufgabenbereich war die Beweismittelerhebung, die Auswertung der Patientenakten, Emails, Kontobewegungen bis zum Schlussbericht im Sommer 2021. Der Verdacht lautete: „Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse“.

Herr Förster wird aufgefordert gemäß seiner Erinnerung zu berichten. Es habe Hinweise auf verdächtige Kontobewegungen auf den Geschäftskonten von Dr. Jiang gegeben. Sein erster aktiver Part in dem Ermittlungsverfahren war die Hausdurchsuchung.

Einzelpersonen hätten im Vorfeld Anzeige erstattet, diese seien über verschiedene Kanäle aus ganz Deutschland und der Schweiz gekommen, ebenso lag eine Anzeige der Landesärztekammer vor.

Die Staatsanwaltschaft habe die Kontodaten ausgewertet, es sei zu Anzeigen gegen Personen gekommen, die ein Attest gebraucht haben, z. B. bei Demonstrationen, in der Schule, gegenüber dem Arbeitgeber, Ordnungsamt Weinheim oder am Frankfurter Flughafen.

Die Durchsuchung habe um 08 Uhr morgens begonnen. Dr. Jiang sei im Bademantel auf dem Balkon erschienen, der Praxisbetrieb hatte noch nicht begonnen. Die Gespräche mit Dr. Jiang führten Hauptkommissarin Hertz und die Staatsanwältin Fuchs.

Sein Aufgabenbereich war die Feststellung von Beweismitteln, genauer die Hinweise in den Patientenakten. Diese wurden systematisch auf die Worte „Attest“ oder die „Kennziffer 70“ durchsucht. Damit war er etwa 2,5 Stunden beschäftigt.

Die Akten befanden sich in einem Schrank mit drei bis vier Schubladen. Insgesamt eine hohe 3-stellige Zahl an Akten. Alle Akten mit dem Hinweis auf Attest oder Kennziffer 70 wurden aussortiert und sichergestellt.

Atteste, die eindeutig keine Masken-Befreiungsatteste waren, wurden nicht berücksichtigt. Von den Patienten die ein Masken-Attest erhielten waren wohl viele Patienten der Praxis. Allerdings waren nach seiner Einschätzung mehr als 50% nur ein- oder zweimal als Patient vor Ort.

Man habe eine tabellarische Liste erstellt mit der Aussage, ob vor der Ausstellung des Attestes eine körperliche Untersuchung erfolgte oder nicht. Dies war aus den Unterlagen aber nicht eindeutig ersichtlich.

Die Atmosphäre während der Durchsuchungsmaßnahme in der Praxis sei gemischt gewesen. Frau Hertz übernahm die weitere Auswertung. Die Auswertung der Emails hätte schwerpunktmäßig er (Zeuge Förster) durchgeführt.

20 Email-Verkehre habe man herausgefiltert und diese explizit ausgewertet. Die Auswahl der Emails sei wahllos gewesen. Man habe den gesamten Zeitraum, über den sich der jeweilige Email-Verkehr erstreckte, ausgewertet.

Die Anzahl 20 Email-Fälle herauszusuchen war eine Vereinbarung zwischen der Hauptkommissarin Hertz und der Staatsanwältin. Der Inhalt der Emails zeigte ganz unterschiedliche Krankheitsverläufe bis zu Bemerkungen man sei genervt von den Maßnahmen.

Die Gründe, warum ein Attest ausgestellt werden soll, wurden meistens abgefragt. In diesen 20 exemplarischen Fällen wurde auch bezahlt, teilweise direkt bei der Ausstellung des Attestes.

Es wurde nur der Posteingang gesichtet nicht der Postausgang. Bei den Signaturen der Antworten wurden neben denen der Angeklagten auch ein weiteres Kürzel gefunden, der Name sei ihm aber nicht mehr in Erinnerung.

Die Atteste wurden mehrheitlich von Frau Dr. Jiang ausgestellt. Bei den Postausgangslisten gab es zwei Kürzel mit dem Buchstaben „S“. Die Ausbildung der Praxisangestellten sei ihm nicht bekannt, ebensowenig ihr Arbeitsumfang. Insgesamt zeigte sich die Mitarbeiterin kooperativ.

Man habe auch ein Geschäftskonto bei der Sparda Bank untersucht, welches die Staatsanwaltschaft im Vorfeld ermittelt hatte. Die Kontoumsätze wurden in Excel-Tabellen übertragen. Man sei von einem Wert von 5 Euro pro Attest ausgegangen, später von 7 Euro.

Auf dem Konto war z.B. auch eine Spende in Höhe von 100 Euro verbucht. Diese wurde, da eindeutig als Spende deklariert, nicht berücksichtigt.

Personen, die in den Kontodaten auftauchten, zeigten teilweise keine Übereinstimmung mit den Personen in den Patientenakten, aber mit den Absendern der Emails.

Es haben Personen Geld überwiesen, die nicht in der Praxis waren. Zu diesen Überweisungen wurden keine Rechnungen oder sonstigen Dokumente gefunden, auch keine Mahnungen.

Es gab vereinzelt Reklamationen wegen falsch geschriebener Namen, aber es gab keine Reklamationen wegen nicht erhaltenem Attest. Eine Anfrage begann z.B. mit den Worten: „Sebastian hat gehört...“ Nach seiner Kenntnis gab es keinen Hinweis auf Missbrauch der Signatur der Mitangeklagten.

Die Auswertung der Telefon-, Email-, sowie Postausgangslisten ergab, dass bereits vor Corona Atteste ausgestellt wurden, es aber mit Beginn der Corona-Verordnungen zu einem sprunghaften Anstieg kam. Etliche Personen haben nicht nur für sich persönlich, sondern auch für weitere Personen Atteste bestellt.

Angeschaut habe man sich den Zeitraum ab August 2020, dem Zeitpunkt erster Ermittlungen in deren Folge ein Verfahren gegen Dr. Jiang eingeleitet wurde. Ein Akteneinsichtsgesuch wurde zunächst zurückgestellt.

Es gab keine Einlassung zur Sache von Frau Dr. Jiang, auch keine Einlassung der Praxisangestellten. Auf die Nachfrage, ob diesbezüglich Anfragen (zur Akteneinsicht) abgelehnt wurden, antwortet der Zeuge Förster, er könne sich daran nicht mehr erinnern.

Seiner Meinung nach müssen die Gründe für das Ausstellen eines Attestes in diesem genannt werden. Der Zeuge gibt an, dass er sich auch die Homepage der Praxis angesehen, diese aber nicht ausgewertet habe.

Er erinnere, dass mittels Newsletter und Emails auf bestimmte Veranstaltungen aufmerksam gemacht wurde. Ansonsten sei die Homepage unauffällig.

Er habe den Abschlussbericht am 8. Dezember 2020 erstellt, daraufhin habe die Staatsanwaltschaft ein gesondertes Verfahren gegen die Praxismitarbeiterin angestrebt.

An die verschiedenen Inhalte der Atteste habe er keine Erinnerung mehr, aber es stand immer der Satz: „…das Tragen der Masken ist aus medizinischen Gründen kontraindiziert." Eine Diagnose stand gemäß seiner Erinnerung in der Überschrift oder nachfolgend im Text des Attestes.

Ab Juni 2020 habe man verstärkt Zahlungseingänge verzeichnet. Angefangen habe dieser Anstieg ab ca. April 2020 und sei bis Jahresende zunehmend zu beobachten gewesen. Eine Handyauswertung habe ergeben, dass dieses sehr lange nicht benutzt wurde. Man fand Leitzordner mit Tabellen, Namen und Adressen, für die es Ausstellungen von Attesten gab.

Dr. Hirsch fragt den Staatsanwalt, ob er weitere Fragen an den Zeugen habe - hat er nicht. Rechtsanwalt Lausen fragt den Zeugen Förster nach dem Verlauf der ersten Anzeige gegen die Hauptangeklagte im Juli 2020. Der Zeuge erinnert, dass diese von der Bezirksärztekammer ausging, diese habe dann die Staatsanwaltschaft informiert.

Rechtsanwalt Lausen konfrontiert den Zeugen mit dem Vorhalt Blatt 001 und 002 (vermutlich die Akte aus dem Selbstleseverfahren), wonach die Bezirksärztekammer Nordbaden unter AZ: KA57/20 am 21.07.2020 ein Berufsständeverfahren eingeleitet habe.

Die Staatsanwaltschaft Mannheim gab das Verfahren an die Ermittlungsbehörden in Weinheim ab. Eine erste Einvernahme zu den erhobenen Vorwürfen fand nicht statt.

Nach dem das Verfahren wieder nach Mannheim zurückging wollte die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen, hiergegen gab es jedoch einen Einspruch der Bezirksärztekammer. Erst daraufhin wurde das Verfahren fortgesetzt.

Ich bin gerade etwas überfordert, es ist von Anzeigen gegen die Kammer und Auszügen aus „Twitter“ die Rede, aber das kann ich nicht mehr richtig zuordnen.

Der nächste Vorhalt ist Blatt 046 der Akte, dort befände sich ein Vermerk, man wolle das Verfahren einstellen, mit ausführlicher Begründung vom 25.08.2020.

Daraufhin gibt der Zeuge an, dass er frühestens seit November 2020 Kenntnis von diesem Verfahren habe, verbunden mit der Vorgabe der Staatsanwaltschaft 20 Emails herauszufiltern. Der Zeuge betont, Zitat: „Ich bin Hilfsperson der Staatsanwaltschaft!“

TOILETTEN GATE“ DIE ERSTE

Die Schöffin Boaz seufzt als die Sprache auf die Corona-Verordnungen des Landes Baden-Württemberg kommt. Rechtsanwalt Künnemann gibt den Seufzer samt einer ablehnenden Geste der Schöffin zu Protokoll.

Nach einer Beratungspause des Gerichts erklärt die Schöffin Boaz die Ursache des Seufzers: Sie musste zur Toilette und habe sich nicht getraut, die Verhandlung deswegen zu unterbrechen. Auch dies wird zu Protokoll genommen. Das Gegenteil ist schwer beweisbar. Dr. Hirsch bestätigt den Toilettengang der Schöffin.

Die Verteidigung stellt den Antrag, die Schöffin Boaz wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, die schriftliche Begründung hierzu soll bis Dienstag, 14. November 2023, 16 Uhr erfolgen.

Dr. Hirsch fragt den Staatsanwalt, ob er sich hierzu äußern möchte - will er nicht. Irgendwie erinnert mich das Ganze hier jetzt an das „Königlich bayerisches Amtsgericht“ - eine Serie aus meiner Kindheit, damals noch in schwarz-weiß im Fernsehen ausgestrahlt.

Die genaue Anzahl der ausgestellten bzw. für den Tatvorwurf relevanten Atteste ist dem Zeugen Förster nicht bekannt, es seien mehr als 100 gewesen. Die etwa 4.200 seien nicht aktenkundig.

Man habe diese Zahl basierend auf den Kontobewegungen mittels Hochrechnung errechnet, wobei man von einem Zahlungseingang von etwa 28.160 Euro ausging.

Man habe versucht, den auf dem Kontoauszug angegebenen Überweisungsgrund einem der vorliegenden Email-Verkehre zuzuordnen. Der Zeuge macht, um dies verständlicher zu machen, nachfolgendes Beispiel:

„Auf dem Konto war ein Zahlungseingang von einer Frau Müller zu finden, in Höhe von 6 Euro. Der Rückschluss lautete 5 Euro hat Frau Müller für ihr Masken-Befreiungsattest bezahlt, plus 1 Euro für Porto und Versand.“

Laut dem Zeugen Förster handelt es sich hierbei um eine eher konservative Hochrechnung, die eine mathematisch valide Zahl ergab. Auf Nachfrage bestätigt der Zeuge, er habe zurVorbereitung auf den heutigen Gerichtstermin die Akten noch einmal gelesen und mit den Kollegen darüber gesprochen.

An den Inhalt des Gesprächs mit Hauptkommissarin Hertz kann er sich nicht mehr erinnern, man habe über die Zeitungsartikel gesprochen, die über den Prozess in der Presse zu lesen waren.

Der Zeuge wird aufgefordert den Begriff der Behörde zu definieren. Der Zeuge antwortet, dass er dies nicht könne, da ihm hierzu das nötige Rechtsverständnis fehle.

Die unterschiedlichen Verordnungen der einzelnen Bundesländer im Bereich der Corona Maßnahmen seien ihm natürlich aus dem privaten Bereich bekannt (wir befinden uns in einem 3-Länder-Eck). Im Arbeitsbereich sei dies jedoch eher nicht relevant gewesen.

Die Verteidigung bringt den Vorhalt der neunten Bayerischen Verordnung vom 09. November 2020 ein. Der Zeuge erwidert, die Ausführungen anderer Bundesländer wurden bei den Ermittlungen nicht berücksichtigt.

Es folgt der Vorhalt der Berücksichtigung mangelnder körperlicher Untersuchungen. In den meisten Patientenakten war ein Anamnesebogen vorhanden, die Patientenakten waren vom Durchsuchungsbeschluss mit abgedeckt. Der Zeuge hat den Vorgang diesbezüglich nicht mehr in Erinnerung.

Rechtsanwalt Willanzheimer möchte wissen, wie aus der in der Praxis beschäftigten Zeugin die mitangeklagte Praxisangestellte wurde. Der Zeuge gibt an, er habe die Gründe hierfür nicht mehr in Erinnerung, er vermute, dass die Initiative von der Staatsanwaltschaft ausging. Er habe sich über einen langen Zeitraum auf die Postausgangslisten fokussiert.

Die Kürzel „ES“ und „BS“ seien immer wieder aufgetaucht, ca. 50% habe man der angeklagten Mitarbeiterin zugeordnet. Auf Nachfrage betont der Zeuge nochmals, dass ihm der Arbeitsumfang der Praxisangestellten nicht bekannt sei.

Er macht folgendes Beispiel: Ist auf dem Konto ein Zahlungseingang in Höhe von 20 Euro aufgetaucht, so setzte man dies mit 4 Verdachtsfällen gleich. Aus Sicht des Zeugen hat die Angeklagte bedingt vorsätzlich gehandelt. (Was er damit genau meint erschließt sich mir nicht).

Weiterhin erinnert er an eine Schulleiterin die ein Masken-Befreiungsattest monierte, da dieses - ihrer Meinung nach - ein anderes krankes Kind in der Klasse gefährde.

Auf Nachfrage gibt der Zeuge an, dass er seit 2020 bei der Polizei arbeite und nur selten mit Fälschungsdelikten zu tun habe, sein Schwerpunkt sind Betrugsdelikte. Nun kommt die Versandart der Atteste zur Sprache.

Neben dem Postversand wurden etliche Atteste als Email-Anhang erstellt und versendet. Es wird darauf hingewiesen, dass dem Wesen nach, ein dokumentensicheres Attest ein Schriftstück in Papierform ist.

Weiterhin weist die Verteidigung darauf hin, dass durch die Methode der Hochrechnung auch unschuldige Personen verfolgt wurden. Man bittet den Zeugen zu erklären, welches bei einem Email-Anhang das Originaldokument im Sinne eines dokumentensicheren Attestes ist.

Der Zeuge kann die Frage nach dem Original, bzw. ob der Ausdruck dieses Attestes und wenn ja der erste Ausdruck oder alle Ausdrucke ein Originaldokument im rechtlichen Sinne darstellen, nicht beantworten.

Der Zeuge betont er sei Wirtschaftskriminalist und habe hierzu eine Sonderausbildung und einige weiterführende Vorlesungen in diesem Bereich durchlaufen.

Federführend in diesem Ermittlungsverfahren sei die Staatsanwaltschaft unter Betreuung von Hauptkommissarin Hertz gewesen. Ihm selbst fehle jede Erfahrung in diesem Bereich.

Welche Grundausbildung der 37-jährige Zeuge hat oder was er vor seiner Tätigkeit bei der Polizei beruflich machte, erfährt der Zuhörer nicht.

Er geht auf Nachfrage nochmals auf den Aufbau der Excel-Liste ein: In der 1. Spalte wurde der Zahlungsbetrag (=Anfangsverdacht) aufgrund des Überweisungsvermerks aufgeführt. In der 2. Spalte die Zahl der mutmaßlichen Atteste.

Ich stelle mir das in etwa so vor: 50 Euro Familie X; 20 Euro „Freiheit“; 40 Euro Attest, Danke
10 Fälle (= 10 Atteste) 4 Fälle (= 4 Atteste) 8 Fälle (= 8 Atteste)

Die Verteidigung regt ein Rechtsgespräch mit der Kammer und dem Staatsanwalt an. Gegen die Entlassung des Zeugenwird im Hinblick auf das Selbstleseverfahren widersprochen.

Dr. Hirsch fragt den Staatsanwalt, ob er eine Erklärung abgeben, weitere Zeugen oder Beweismittel einbringen möchte - nein, will er nicht!

Er will auch kein Rechtsgespräch, Zitat: „Wir wissen bereits alles.“ Dies war meine Wahrnehmung des zweiten Prozesstages, Aufzeichnungen der weiteren Prozesstage folgen jeweils freitags und montags. Hier geht's zu Teil 3: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/details/?tx_ttnews