Verwaltungsgericht sieht Bensheimer BĂĽrgerinititive im Recht

Die Chancen für einen städtebaulichen Ideenwettbewerb zur Gestaltung des >Marktplatz der Zukunft< in Bensheim haben sich durch die klare Positionierung des Verwaltungsgerichts deutlich verbessert und eröffnen der BI wohl die Fortsetzung ihres Bürgerbegehrens. Archivfoto: er
BENSHEIM. - Die Bürgerinitiative >Bensheimer Marktplatz besser beleben< sieht sich in ihrem Bestreben, weiter Unterschriften für ihr Bürgerbegehren sammeln zu dürfen, erneut gestärkt. Nach den früheren deutlichen Signalen aus dem Hessischen Innenministerium, hat jetzt auch das Verwaltungsgericht Darmstadt dem Magistrat der Stadt Bensheim seine klare Positionierung übermittelt.
Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts hat mit Schreiben vom 16. Juni dem Magistrat per deutlicher Empfehlung angeraten, die Beschlussvorlage für die kommende Stadtverordnetenversammlung dergestalt zu ändern, dass die Frist zum Sammeln von Unterschriften um 19 Tage verlängert wird.
Dieses „Güteangebot“ an die Stadt sieht das Gericht als adäquate Maßnahme, die der BI durch die Corona-Pandemie und der damit verbundenen Kontaktbeschränkungen verloren gegangene Zeit von knapp drei Wochen nach weitgehender Aufhebung der Beschränkungen nachträglich zu gewähren.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bisher strikt verweigert
Der von Bürgermeister Rolf Richter geführte Bensheimer Magistrat hatte sich bisher strikt geweigert den BI-Antrag auf „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ ihres Bürgerbegehrens zu gewähren und die bis Ablauf der regulären Frist am 09. April versäumte Zeit zur Unterschriftensammlung nachträglich zu gewähren.
Der Bensheimer Verwaltungschef, selbst Volljurist und damit eigentlich rechtskundig, hatte drei Rechtsgutachten beauftragt, die nach seinen politischen Vorstellungen ausgefallen waren.
So hatten sowohl der Hessische Städte- und Gemeindebund, der Hessische Städtetag als auch der für die Stadt Bensheim tätige Darmstädter Anwalt Dr. Klaus Berghäuser den Antrag der BI auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als juristisch unzulässig erklärt (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews).
Verwaltungsgericht widerspricht städtischer Auffassung
Dieser Auffassung widersprach jetzt das Verwaltungsgericht Darmstadt recht deutlich. Die Kammer sei zum Ergebnis gelangt, dass die BI aufgrund der Verordnung zur Beschränkung sozialer Kontakte und zur Anpassung von Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus in der Zeit vom 22.03.2020 bis einschließlich 14.06.2020 keine Unterschriften sammeln konnte.
„Allein die Möglichkeit, über eine Homepage im Internet und dort zum Ausdruck bereit gehaltene Unterschriftenliste noch für das Bürgerbegehren zu werben, gleicht diese faktischen und rechtlichen Einschränkungen nicht aus“, befand das Gericht.
Dehalb vertrete die Kammer die Auffassung, „dass den Initiatoren des Bürgerbegehrens in Anbetracht der kontaktbeschränkenden Vorgaben eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wie es auch das Hessische Innenministerium angeregt hat“.
„19 Tage sind verloren gegangen und sollten noch zur Verfügung gestellt werden“
Durch die Pandemie bestehe „eine besondere Ausnahmesituation“, die „eher einer Naturkatastrophe vergleichbar“ sei „und damit höhere Gewalt“ darstelle. Zudem habe die Pandemie auf Seiten der Stadt Bensheim „vermutlich ebenfalls zu einer deutlichen Reduzierung der Verwaltungstätigkeit geführt“.
Hätte die Corona-Pandemie nicht zu den weitgehenden Kontaktbeschränkungen ab dem 22.03.2020 geführt, hätte die BI die Unterschriftensammlung noch bis zum 09.04.2020 weiterführen können. „Diese 19 Tage sind ihr demnach verloren gegangen und sollten jetzt im Wege der Wiedereinsetzung noch zur Verfügung gestellt werden.“
Daher regt das Gericht an, die Beschlussvorlage des Magistrats für die kommende Stadtverordnetenversammlung dergestalt zu ändern, „dass die Frist zum Sammeln der Unterschriften um die genannten 19 Tage verlängert wird“.
Als Haken an der ansonsten den Interessen der BI angepassten Gerichtsauffassung sehen die BI-Vertreter lediglich den vom Gericht vorgeschlagenen Zeitpunkt zur Wiedereinsetzung. Die vorgeschlagene 19-Tage-Frist umfasst den Zeitrahmen vom 15.06. bis 03.07.2020.
Das Beratungsergebnis der Kammer vom 16. Juni ging per Fax erst um 16.56 Uhr am 16.06. bei der BI ein, sodass faktisch zwei der gewährten 19 Tage quasi schon ohne die Möglichkeit zur Unterschriftensammlung verstrichen waren.
BI-Vertrauensleute mit einvernehmlichen Lösung einverstanden
Dennoch erklären sich die Vertrauensleute der BI mit dem Vorschlag des Gerichts zu dieser einvernehmlichen Lösung einverstanden, wie im Rahmen einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz verlautete. Sie kommen damit einer Aufforderung der Kammer zur Stellungnahme beider Seiten bis Freitag, 19. Juni, nach.
Inwieweit die Stadt Bensheim dieser einvernehmlichen Lösung folgt bleibt nach einer städtischen Pressemitteilung vom heutigen Tag offen.
Der Magistrat werde am Donnerstag, 18. Juni, zu einer Sondersitzung zusammen kommen und ĂĽber den Vorschlag beraten, unter BerĂĽcksichtigung des Hinweises durch das Verwaltungsgericht, die geplante Vorlage fĂĽr die Stadtverordnetenversammlung zurĂĽckzuziehen.
Stadtspitze beharrt auf ihrer Rechtsposition
„In Absprache mit dem Verwaltungsgericht soll daher die Vorlage zurückgezogen werden und die Stadtverordnetenversammlung erst dann über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens und die Wiedereinsetzung entscheiden, sofern die BI nach Ablauf der neuen Frist (3. Juli) die Unterschriftenliste einreicht. Hierbei handelt es sich um einen ohnehin erforderlichen formalen Akt“, heißt es in der städtischen Pressemitteilung.
Im Rathaus halte man unabhängig davon weiter an der auch von den beiden Spitzenverbänden vertretenen Rechtsauffassung fest, respektiere aber selbstverständlich den Hinweis des Verwaltungsgerichts.
Im Falle der Verweigerung der vorgeschlagenen einvernehmlichen Lösung durch die Stadt müsste das Gericht ein Urteil zum beantragten Eilantrag fällen.
„Trotzdem sieht man in dem bisherigen Verfahren und dem offenen Bürgerbeteiligungsprozess den richtigen Weg.“ Anstatt diesen Weg zu gehen und für eine Belebung der Innenstadt zu sorgen, laufe man jetzt Gefahr, eine zeitliche Verzögerung zu riskieren.
„Wir sind im Sinne einer guten Lösung nach wie vor gesprächsbereit“
Während die Stadtspitze also weiter auf Konfrontationskurs zur BI geht, kommen von dort völlig andere Töne. „Wir sind im Sinne einer guten Lösung nach wie vor gesprächsbereit mit den städtischen Vertretern“, sagt Gundula Bunge-Glenz.
Das Verwaltungsgericht habe „unser berechtigtes demokratisches Anliegen legitimiert“. Gleichwohl sei es ihnen noch immer ein großes Anliegen, einen gemeinsamen Konsens mit der Stadt zu finden. Für den angestrebten offenen Dialog brauche es aber einen unabhängigen Mediator, der den Prozess begleite.
„Wir sind glücklich, dass das Gericht unseren Argumenten gefolgt ist“, sagte Akram El-Rikabi. Allerdings wolle man das Gericht wegen des verspäteten Informationseingangs um Verschiebung des Fristbeginns auf Mittwoch, 17. Juni, bitten.
„Es ist schade, dass man ein Verwaltungsgericht braucht, um in Bensheim Demokratie zu sichern“
„Wir tragen nach diesem Etappensieg die Nase nicht hoch und sind weiter an einer guten Lösung interessiert“, betonte auch Theo Sartorius. Hier gehe es ausschließlich um einen demokratischen Umgang miteinander. „Es ist schade, dass man ein Verwaltungsgericht braucht, um in Bensheim Demokratie zu sichern“, sagte Sartorius.
Er empfinde Trauer, dass eine ehrenamtlich agierende Gruppe ohne anwaltliche Mitwirkung diesen Etappensieg ĂĽber die Stadt habe erzwingen mĂĽssen.
„Eine juristische Auseinandersetzung war nicht der favorisierte Weg der BI“, unterstrich Gundula Bunge-Glenz erneut. Sie habe vielmehr auf Dialog gesetzt und bleibe bei dieser Linie. „Es ist mir ein besonderes Anliegen, daran zu erinnern, dass es nicht nur um die Marktplatzbelebung geht“, sondern demokratische Prozesse im Fokus ihrer Aktivität lägen.
„Wir bevorzugen auch weiterhin keine Lösung“
„Beim städtebaulichen Wettbewerb für den Marktplatz als Kern unserer Aktivitäten bevorzugen wir auch weiterhin keine Lösung. Unser Ansinnen ist es nach wie vor, dass alle drei Optionen, Nullbebauung, eingeschossiges Gebäude oder doppelgeschossiges Haus in den Wettbewerb aufgenommen werden.“
Unabhängig von der Gerichtsentscheidung ob die Frist zum 03. oder 05. Juli endet, soll bis dahin an Infoständen, mit einer Briefkastenaktion, „sowie in Geschäften, die uns gewogen sind“, um Unterschriften geworben werden. Auch ein Youtube-Kanal mit Informationen sei in Planung.
Bis zum Ende der Frist muss die BI 3.200 Unterschriften sammeln, um den angestrebten Bürgerentscheid zu erreichen, der dann voraussichtlich im Herbst stattfinden könnte.