Desaströse Haushaltslage in Bensheim: Sparen an allen Ecken ist angesagt
Finanzdezernet Adil Oyan (GRÜNE) präsentierte den längst überfälligen Etatentwurf 2021, über den dann Mitte Juli entschieden werden sollBENSHEIM. - Was lange währt, wird längst nicht gut. Damit wird die Verheißung eines alten Sprichworts ad absurdum geführt. Aktuellen Beweis dafür liefert der „immerhin schon“ am 20. Mai vorgelegte Etatentwurf des Bensheimer Stadtkämmerers und hauptamtlichen Magistratsmitglieds Adil Oyan (GRÜNE) für das laufende Haushaltsjahr der Stadt.
Während andernorts zuweilen schon über Nachträge zu längst genehmigten Haushaltsplänen nachgedacht wird, präsentierte Oyan aktuell das erwartet negative Zahlenwerk, das keinerlei Spielraum im Investitionsbereich zulässt.
Das jedenfalls bekundete der Kämmerer selbst, indem er die Parlamentarier aufforderte: „Nutzen Sie die Haushaltsberatungen für mutige und notwendige Konsolidierungen und setzen Sie damit auch ein Zeichen für die Öffentlichkeit und die Kommunalaufsicht.“
Das scheint auch dringend erforderlich bis zur Verabschiedung des Etats in der Juli-Sitzung der Stadtverordneten angesichts der desaströsen Haushaltslage, die derzeit nur noch mit Pandemie-bedingten Landesmitteln einigermaßen erträglich gestaltet werden kann und so zumindest Aussicht auf Genehmigung der Aufsichtsbehörde gewährt.
Genehmigung des Haushalts frühestens nach der Sommerpause erwartet
Mit einem genehmigten Haushalt kann jedoch angesichts des Zeitplans für die Verabschiedung Mitte Juli frühestens nach der Sommerpause im Frühherbst dieses Jahres gerechnet werden. Bis dahin dürfen den gesetzlichen Vorgaben der hessischen Gemeindeordnung (HGO) zufolge von der Stadtverwaltung nur Pflichtaufgaben erfüllt werden.
Der jetzt im Entwurf vorliegende Etat weist 8,5 Millionen Euro Defizit im Ergebnishaushalt aus (bei Einnahme-Ansätzen von 105,8 Millionen Euro, denen Ausgaben von 114,3 Millionen gegenüber stehen). Das errechnete Jahresergebnis beläuft sich auf ein Minus von 5,4 Millionen Euro.
Steuererhöhungen aktuell nicht vorgesehen
Steuererhöhungen sind dennoch aktuell nicht vorgesehen. Die Gewerbesteuer soll dem Entwurf zufolge Einnahmen in Höhe von 45 Millionen Euro generieren. Insgesamt sollen die Steuern dem städtischen Etat knapp 86,9 Millionen Euro zuführen.
Auf Basis des Gewerbesteuer-Einnahmeansatzes ist die Gewerbesteuerumlage mit 6,8 Millionen Euro auf der Ausgabenseite veranschlagt.
Der erwartete Verlustausgleich für den Eigenbetrieb Kinderbetreuung schlägt auf der Ausgabenseite mit 13,4 Millionen Euro zu Buche – Tendenz angesichts von Kita-Neubauten steigend. Die Umlagezahlungen erreichen mit 46,4 Millionen einen neuen Höchstwert.
Liquiditätskredite steigen um knapp 4 auf 15,8 Millionen Euro
Die Liquiditätskredite (früher Kassenkredite) steigen um knapp 4 auf 15,8 Millionen Euro, Kredite sollen in Höhe von 5,3 Millionen Euro aufgenommen werden. Die Netto-Neuverschuldung ist mit 1,7 Millionen Euro veranschlagt.
Der investive Bereich im Finanzhaushalt ist mit rund 7 Millionen Euro vor allem auf die Infrastruktur ausgerichtet. Über eine Million sind für den Brandschutz vorgesehen, der soziale Wohnungsbau steht mit 567.000 Euro zu Buche.
430.000 Euro sollen in die bisher vernachlässigte Digitalisierung des Rathauses investiert werden, und 2,2 Millionen Euro werden in die Kapitalrücklage für den Bäderbetrieb fließen.
39,6 Millionen für Kreis- und Schulumlage
Mit 39,6 Millionen nimmt die Kreis- und Schulumlage eine enorm große Summe in Anspruch. Die Sach- und Dienstleistungen steigen um 1,5 Millionen auf 24,7 Millionen Euro. Und auch die Personalkosten wachsen nicht zuletzt aufgrund Tarifsteigerungen auf 15,7 Millionen Euro.
Der Schuldenstand der Stadt (ohne Beteiligungen und Eigenbetriebe) beträgt zum 1. Januar 53,7 Millionen Euro, bis zum Jahresende wird er laut Prognose der Stadt auf 55,4 Millionen angewachsen sein.
Landesmittel von mehr als 11 Millionen Euro fließen nach Bensheim
In das gesamte Zahlenwerk eingerechnet sind bereits Landesmittel von mehr als 11 Millionen Euro, die auch im laufenden Haushaltsjahr aus Gewerbesteuerausgleich (rund 10,4 Millionen) und kommunalem Finanzausgleich (knapp 700.000 Euro) von Wiesbaden nach Bensheim fließen werden. Bereits 2020 kamen vom Land Corona-Unterstützungen in Höhe von insgesamt 19 Millionen Euro.
Alleine die positiven Abschlüsse der Vorjahre inklusive zu erwartender Gewerbesteuer-Nachzahlungen als Einmaleffekte gestalten das jetzt vorliegende schlechte Ergebnis noch einigermaßen erträglich und machen Hoffnung auf Genehmigung nach der in knapp zwei Monaten zu erwartenden Verabschiedung des dann wie auch immer modifizierten vorliegenden Haushaltsentwurfs.
Gewinnrücklage von 4,7 Millionen Euro mindert erwartete Verluste
Positive Auswirkung im jetzt vorliegenden Zahlenwerk entfaltet eine vorhandene Gewinnrücklage von 4,7 Millionen Euro, die erwartete Verluste mindert. Dies gilt ebenso für einen trotz der Corona-Auswirkungen erwarteten Überschuss aus dem Haushaltsjahr 2020 in Höhe von 6,3 Millionen Euro.
Spätestens im Jahr 2024 muss der Bensheimer Haushalt allerdings wieder konsolidiert sein, um den gesetzmäßigen Vorgaben zu entsprechen. Ob das dann ohne Erhöhung von Gewerbe- und Grundsteuer B möglich ist, scheint derzeit noch lange nicht realistisch.
„In normalen Zeiten wäre der Haushalt nicht genehmigungsfähig“
Oyan redete denn auch nicht lange um den heißen Brei herum und skizzierte die Lage ebenso drastisch wie realistisch: „In normalen Zeiten wäre der Haushalt nicht genehmigungsfähig“, berichtete der Finanzdezernent dem Parlament.
Der vorliegende Etat werde als >Corona-Haushalt< in die Annalen Bensheims eingehen. Sofortiges Gegensteuern sei deshalb erforderlich, um in den verbleibenden zweieinhalb Jahren wieder auf Kurs „schwarze Null“ zu gelangen.
Ende kommenden Jahres Liquiditätslücke von über 4 Millionen Euro befürchtet
Aktuelle Richtwerte ließen schon Ende kommenden Jahres eine Liquiditätslücke von über 4 Millionen Euro mit steigender Tendenz in den Folgejahren befürchten. Die Zahlungsfähigkeit der Stadt könne dann nur mit einem Liquiditätskredit aufrecht erhalten werden.
„Dieser würde dann nicht zur Zwischenfinanzierung von Investitionen und dem Ausgleich von Ausgabespitzen dienen“, sondern müsste lediglich über den 31. Dezember des Jahres hinweg die Liquidität sichern.
Es stünden „schmerzhafte Einschnitte“ ins Haus, die Mandatsträger der Legislative ebenso fordere wie jene der Exekutive und selbstverständlich auch der gesamten Verwaltung. Nur so könne man eine Erholung des Haushalts in den kommenden Jahren sicherstellen.
Er könne aktuell nur eine Empfehlung für die bevorstehenden Haushaltsberatungen geben, und die laute, jedwede weiteren Investitionswünsche zu vergessen. Vielmehr müsste alles im vorliegenden Haushaltsentwurf „durchforstet“ werden was streichbar sei.
Adil Oyan: „Die Lage ist schlecht“
Sparwillen und Mut seien gefordert, denn „die Lage ist schlecht“, sagte Adil Oyan. Auch müsse man sich gegebenenfalls darauf verständigen bereits im kommenden Jahr Steuern zu erhöhen, um die Konsolidierung rechtzeitig einzuläuten.
Auch die abgeschafften Straßenbeiträge „fallen uns jetzt auf die Füße“, kritisierte der Kämmerer diesen Parlamentsbeschluss. Sparen oder Einnahmen erhöhen „oder von Beidem etwas“ seien die einzig verbliebenen Optionen.
Stadtverordnete sind gefordert kluge Entscheidungen zu fällen
Jetzt seien die Stadtverordneten gefordert kluge Entscheidungen zu fällen. Diese müssen sich mit dem umfangreichen Zahlenwerk bis zur letzten Parlamentsssitzung vor der Sommerpause am 15. Juli auf vernünftige Lösungen verständigen. Es sei jetzt der falsche Zeitpunkt für Wünsche, aber der richtige für konstruktive Kritik, konstatierte Oyan.
Sobald der zunächst zu beratende Haushalt 2021 genehmigt ist, sollen noch im dann verbleibenden Restjahr der Bürgerraum in der Weststadthalle für 240.000 Euro modernisiert werden, und 200.000 Euro ins Klimaschutz-Förderprogramm fließen.
Ebenfalls 200.000 Euro veranschlagt sind für einen Wohnmobilstellplatz in der größten Stadt im Landkreis Bergstraße, und am Bahnhof soll ein Fahrradparkhaus für 163.000 Euro entstehen.
Die Umrüstung der Beleuchtung auf LED im Parktheater und in der Weststadthalle soll im kommenden Jahr vollzogen werden. Entsprechende Haushaltsmittel sind unter Berücksichtigung zu erwartender Fördermittel von über 90 Prozent bereits im aktuellen Haushalt eingestellt.
Neun ehrenamtliche Magistratsmitglieder gewählt
Gewählt wurden zuvor in geheimer Wahl die ehrenamtlichen Magistratsmitglieder. Dazu hatten sich die Parlamentarier interfraktionell verständigt.
Mit Oliver Roeder, Waltrud Ottiger, Hans Seibert stellt die CDU drei Vertreter, Peter L. Born und Manfred Knapp sind für die GRÜNEN dabei, Josefine Koebe vertritt die SPD, Wilhelm Rothermel die FDP, Andreas Born ist für die BfB und Andreas Scharff für die FWG im Magistrat aktiv.
Um diese Zusammensetzung zu ermöglichen und den Fraktionen von FWG und BfB ein Losverfahren zu ersparen hatten sich die Fraktionen im Hinblick auf eine harmonisch verlaufende Legislatur auf die Erhöhung um einen Magistratssitz verständigt.
Mit 42 Ja- bei einer Neinstimme war die Zustimmung der zunächst 43 anwesenden Parlamentarier zum gemeinsamen Vorschlag der Vertreter erwartungsgemäß überwältigend.
Außer der AfD alle Fraktionen im Magistrat repräsentiert
Damit sind, ausgenommen der mit zwei Stadtverordneten kleinsten Fraktion, alle Parlamentsfraktionen im Magistrat repräsentiert. Hauptamtliche Mitglieder sind neben Bürgermeisterin Christine Klein (parteilos), weiterhin die Erste Stadträtin Nicole Rauber-Jung (CDU) und Adil Oyan (GRÜNE).
Die hauptamtlichen Magistrats-Vertreter sind bis Dezember 2026 (Klein), Oktober 2025 (Rauber-Jung) und November 2023 (Oyan) gewählt.
Mandatsträger eingeführt - Magistrasmitglieder vereidigt
Für die CDU rückten Feridun Bahadori, Rudolf Volprecht und Rolf Schwabenland in deren Fraktion nach und ersetzen die in den Magistrat gewechselten Mandatsträger.
Stadtverordnetenvorsteherin Christine Deppert führte die Mandatsträger in ihre Ämter ein und vereidigte die gewählten ehrenamtlichen Magistratsmitglieder.
Gewählt wurden auch die Mitglieder in die Betriebskommissionen, Verbandsversammlungen und Stiftungen. Besonderheit dabei: die CDU trat von den ihr jeweils zustehenden drei Vertretern für die Eigenbetriebskommissionen je einen an die AfD ab, damit diese auch in den Gremium vertreten sind. Mit dieser Vorgehensweise wollte sich die Fraktion der GRÜNEN nicht anfreunden und enthielt sich.