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„Wir müssen in Bensheim alle Kräfte bündeln“

Bürgermeisterin Christine Klein zur aktuellen Haushaltslage der Stadt Bensheim

BENSHEIM. - Es ist ein Drahtseilakt ohne Netz und doppelten Boden: Wie kann Bensheim weiter eine liebens- und lebenswerte Stadt bleiben – wenn zugleich die schlimmste Finanzkrise in der Geschichte der Kommune bewältigt werden muss?

Auf mehr als 43 Millionen Euro summiert sich der Fehlbedarf im Ergebnishaushalt in diesem Jahr. Kalkuliert wurde eigentlich mit einem Minus von rund 12,5 Millionen Euro. Im Sommer hat der Magistrat deshalb eine Haushaltssperre angeordnet.

Rückzahlungen und Mindereinnahmen im jeweils siebenstelligen Bereich bei der Gewerbesteuer haben den städtischen Haushalt bekanntlich aus dem Gleichgewicht gebracht.

Bensheim steht damit keinesfalls allein da. Viele Städte, Gemeinden und Landkreise kämpfen mit wegbrechenden Einnahmen und hohen Ausgaben durch zusätzliche (Pflicht)-Aufgaben, die sie übernehmen müssen.

Die Entwicklung kommt nicht überraschend. Das aktuelle Minus im Etat hat für die größte Stadt im Kreis allerdings historische und beispiellose Dimensionen. „Wir weisen schon länger darauf hin, dass die Haushalte unterfinanziert sind.

In den vergangenen Jahren konnte dies mit kurzfristigen Nothilfen oder verschiedener Sondereffekte ausgeglichen werden.

Aber diese Zeiten sind ebenso vorbei wie die Möglichkeiten, durch höhere Gewerbesteuereinnahmen ein Plus zu erzielen“, betont Bürgermeisterin Christine Klein.

Auch im vergangenen Herbst habe man die wirtschaftliche Entwicklung der in Bensheim ansässigen Firmen im Blick gehabt.

Dass die Rückzahlungen und Einbrüche bei den Einnahmen durch die Gewerbesteuer so dramatisch ausfallen würden, „ist für unsere Stadt folgenreich, für die Unternehmen dramatisch und war vor einem Jahr so schlicht und ergreifend nicht absehbar“, verdeutlicht die Rathauschefin.

Sie verwahrt sich daher gegen den Vorwurf, im Rathaus habe man Misswirtschaft betrieben. „Wir gehen sorgsam und verantwortungsbewusst mit dem Geld der Bürger um. Als Finanzdezernentin stelle ich mich jeder sachlichen Kritik.“

Aus der Kommunalpolitik seien indes reflexartig Stimmen laut geworden, die der Rathausspitze einen ausbaufähigen Sparwillen samt fehlenden Sparvorschlägen attestierten.

Eine erwartbare Reaktion, so Klein, die aus parteipolitischem Kalkül vielleicht nachvollziehbar erscheint, sich aus ihrer Sicht aber nicht unbedingt als zielführend erweist.

Die Bürgermeisterin erinnert in diesem Zusammenhang an die von der Verwaltung erstellte Streichliste zum Haushaltsplanentwurf 2024.

Von der schafften es durch Anträge der Fraktionen eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von einer Million Euro für die Sanierung der Laufbahn im Weiherhausstadion sowie die Erneuerung des Kunstrasens im Sportpark West zurück in den Finanzhaushalt.

„Und die mittlerweile berühmten Hundekotbeutel feierten im Ergebnishaushalt ein Comeback.“ Klein setzt dennoch nach wie vor auf eine gute, konstruktive Zusammenarbeit mit den Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung.

Mit den Fraktionsvorsitzenden sei man im regelmäßigen Austausch und habe transparent über die Situation informiert. „Wir können nur gemeinsam aus dieser Lage kommen – und zwar ohne Schnellschüsse.

Entscheidungen müssen zum Wohle Bensheims sowie der Bürgerinnen und Bürger gut durchdacht sein.“ Ein finanzieller Kahlschlag und pauschale Einsparungen an der womöglich falschen Stelle seien für die Zukunft der Stadt kontraproduktiv.

Die Bürgermeisterin weist am Beispiel des Nachtragshaushalts 2024 darüber hinaus darauf hin, dass der Handlungsspielraum stark eingeschränkt ist. Von den 131,8 Millionen Euro an Ausgaben im Ergebnishaushalt seien etwas mehr als 111 Millionen gebunden.

Die Schul- und Kreisumlage koste die Stadt beispielsweise insgesamt rund 48 Millionen, in den Eigenbetrieb Kinderbetreuung fließe ein Verlustausgleich in Höhe von mehr als 16 Millionen.

Hinzu kommen notwendige Investitionen in die IT-Sicherheit und den Katastrophenschutz – und das alles bei hoher Inflation sowie anhaltend hohen Energiekosten.

Da blieben unterm Strich die freiwilligen Leistungen übrig, bei denen man ansetzen könne. „Wir müssen uns dabei aber immer bewusst machen, welche Auswirkungen Streichungen oder Kürzungen von Mittel haben – etwa bei Vereinszuschüssen, der Kultur oder der Sanierung von Straßen“, so Klein.

Trotzdem stehe alles auf dem Prüfstand. Auch bei den Pflichtaufgaben und bei laufenden Verträgen werde – wie in der Vergangenheit bereits geschehen – analysiert, ob sich Einsparpotenziale ergeben.

Doch nicht nur kurzfristige Optionen behalte die Verwaltung im Blick. So werde beabsichtigt, ein Risikomanagement mit Früherkennungssystem zu entwickeln und einzuführen.

In einer engeren Zusammenarbeit zwischen der Kernverwaltung und der städtischen Tochtergesellschaft MEGB könnten beispielsweise die Gewerbegebiete analysiert und geclustert werden.

Gemeinsam mit den Unternehmen könnten dann Prognosen erstellt werden, die als Frühindikatoren dienen, um mögliche Veränderungen bei der Gewerbesteuer frühzeitiger ausmachen zu können – ein ambitioniertes Projekt für eine Kommune, aber nach den jüngsten Erfahrungen ein notwendiges Instrument.

Als äußerst unglücklich bewertet die Bürgermeisterin die Vorgabe des hessischen Innenministeriums. Die Aufsichtsbehörden fordern wegen der dramatischen Haushaltslage der Stadt Bensheim einen ausgeglichenen Haushalt innerhalb von fünf Jahren.

Verbunden mit der Empfehlung, die Grundsteuer anzuheben. „Wir wollten einen sozialverträglicheren Weg mit einer Konsolidierung nach zehn Jahren gehen.“

So aber habe der Magistrat Ende Oktober der Stadtverordnetenversammlung eine massive Erhöhung der Grundsteuer B auf 1.450 Prozent vorschlagen müssen, um den Haushaltsausgleich in der Finanzplanung aufzeigen zu können.

Die Einnahmeausfälle seien zu eklatant, die Einsparmöglichkeiten im Vergleich zu gering, um den geforderten Ausgleich ohne die Steuererhöhung abbilden zu können. „Es ist mir bewusst, dass es eine enorme Belastung für die Bensheimer ist.“

Die Verabschiedung einer Nachhaltigkeitssatzung solle eine Reduzierung des Hebesatzes gewährleisten, sobald sich die Situation gebessert hat.

Die Vorgabe aus Wiesbaden hält Klein für nicht mehr zeitgemäß. Immer mehr Kommunen ächzen unter enormen finanziellen Belastungen und wissen nicht, wie sie ihre Etats ausgeglichen darstellen sollen.

Laut einer Prognose des Deutschen Städtetags, des Deutschen Landkreistags und des Deutschen Städte- und Gemeindebunds aus dem Sommer wird sich in diesem Jahr das Defizit der Städte und Gemeinden auf die Rekordhöhe von 13,2 Milliarden verdoppeln im Vergleich zu 2023.

„Wir bekommen von Bund und Land immer mehr Aufgaben zugewiesen – ohne eine ausreichende Finanzierung. Die Ausgaben wachsen immer mehr, ohne dass wir großen Einfluss darauf nehmen können. Damit muss jetzt endlich Schluss sein“, bemerkt die Bensheimer Rathauschefin.

Sonst bleibe nicht mehr viel übrig, als den Mangel zu verwalten – und sich dem (bis zu einem gewissen Grad) verständlichen Frust der Bürger auszusetzen. „Die Selbstverwaltung der Kommunen wird damit weiter ausgehöhlt.“

Der Bensheimer Rathauschefin gehe es aber nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen. „Wir müssen hier in Bensheim alle Kräfte bündeln, um diese Situation zu bewältigen. Das wird herausfordernd, manche werden es als Zumutung empfinden.

Und es wird mit schmerzhaften Einschnitten verbunden sein. Aber ich bitte um Verständnis. Wir treffen hier keine Entscheidungen aus einer Laune heraus, sondern nach reiflicher Überlegung und Abwägung.“

Darüber hinaus werde innerhalb der Verwaltung ein Restrukturierungsprozess angestoßen, um sich strukturell effizienter aufzustellen und gegen Einnahmenschwankungen resilienter und reaktionsfähig zu werden. „Das geht aber nicht von heute auf morgen, sondern braucht Zeit.“