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DGB: Bensheimer Magistrat verweigert Jakob Kindinger das Ehrengrab

Abgelehnt vom Bensheimer Magistrat: Ein Ehrengrab für den Widerstandskämpfer Jakob Kindinger, dem diese Straße gewidmet wurde. Foto: Jutta Mussong-Löffler

Vorwurf an die Stadtoberen: „Noch nie war die Stadt so konstruktivlos und unprofessionell“

BENSHEIM. - „Ungeheuerlich ist, was bei der nicht öffentlichen Magistratssitzung Ende März in Sachen Ehrengrabregelung herausgekommen ist. Nichts!“ Zu Recht kritisiere die Bensheimer SPD den Beschluss als respektlos, weil lediglich die Grabsteine von bedeutenden Persönlichkeiten zu sichern seien, die betreffenden Grabstätten sollen abgeräumt werden, sagt der DGB Bensheim.

Zur Vorgeschichte. Der DGB Bensheim hatte die Stadt aufgefordert, das Grab von Jakob Kindinger instand zu setzen und zu pflegen. Darüber hinaus sollte das Grab mit den sterblichen Überresten des Bensheimer Kommunisten und Gewerkschafters für die Nachwelt erhalten bleiben.

Mit ihrem weitergehenden Antrag für eine Ehrengrabregelung habe die SPD-Fraktion einen konstruktiven Vorschlag in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht, der von den Stadtoberen abgeschmettert wurde.

Die Ehrengrabregelung sollte aktuell das Grab des weit über Bensheims Grenzen hinaus bekannten Widerstandskämpfers Jakob Kindinger vor dem Abräumen schützen. Und sie beziehe auch dauerhaft andere Persönlichkeiten dieser Stadt mit ein.

„Noch ist bekannt, wer sich hinter dem Namen Jakob Kindinger verbirgt. Aber wie sieht es in ein paar Jahren aus, wenn die letzten Zeitzeugen nicht mehr unter uns sind, wenn keine Organisation mehr das Andenken an den Widerstand im Nationalsozialismus mehr würdigt, wenn keiner mehr von den Opfern spricht?

Was passiert mit den sterblichen Überresten des Toten? Wie kann man anhand eines Grabsteins unter vielen das einzigartige Verhalten eines außergewöhnlich mutigen Mannes erkennen?“

„Was hat die Stadt denn bisher für Kindinger getan?“

Die Auseinandersetzung um das Kindinger-Grab zeige eine abweisende Hinhaltepolitik und eine Abkehr von politscher Verantwortung. Der Verweis auf ehrenamtliche Helfer sei ein Teil davon. Man möchte dieses Problem gerne in private Hände legen.

„Das war einmal anders. So nahm der frühere Bürgermeister Georg Stolle (CDU) die Einladung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) Bensheim anlässlich Kindingers Trauerfeier im Dalberger Hof an und würdigte den ehemaligen städtischen Angestellten mit persönlichen Worten.“

Für die Straßenbenennung habe sich die damalige DGB-Ortskartellvorsitzende Christa Krämer sehr stark eingesetzt und Gehör gefunden. Den Findling mit Inschrift organisierte der ehemalige DGB-Sekretär Gerd Helbling.

„Anderes Bewusstsein in Mannheim“

Die Stadt Mannheim verfahre anders mit ihren verstorbenen Persönlichkeiten. „So wurde erst im November des vergangenen Jahres der Grabstätte des Mannheimer Flugzeugkonstrukteurs Julius Hatry (1906 -2000) der Status eines Ehrengrabes verliehen.“

Erhaltung und Pflege kosten die Stadt 450,- Euro im Jahr. Maßgeblich für die Verleihung des Status als „Ehrengrab“ ist eine „historische Bedeutung der bestatteten Person oder der Verdienst um die Stadt“.

Die historische Bedeutung von Jakob Kindinger für Bensheim

Der in Reichenbach geborene Antifaschist Jakob Kindinger kämpfte gegen die Nationalsozialisten von der ersten Stunde an, organisierte mit seinen KPD-Genossen den Widerstand und sammelte heimlich für die Rote Hilfe.

Er wurde mehrfach verhaftet, verbrachte mehrjährige Zuchthausstrafen bis er schließlich im Juni 1938 auf Grund des Nazigesetzes zum Schutze von Volk und Staat in das KZ Buchenwald überführt wurde.

Jakob Kindingers Haftzeit endete am 11. April 1945. Es ist hinlänglich bekannt, dass er unter Einsatz seines eigenen Lebens Mithäftlinge vor dem sicheren Tod bewahrte. Der ebenfalls in Reichenbach geborene Max Liebster (1915 – 2008) äußerte sich in einem Interview, dass dieser Mann in Buchenwald sein Leben gerettet hatte.

Kindinger habe nicht nur an sein eigenes Überleben gedacht, sondern sich für alle Menschen im Konzentrationslager eingesetzt. Der Jude Max Liebster musste viele KZs durchlaufen bis er in Buchenwald ankam.

Emil Carlebach, Jude und Kommunist, wurde von Jakob Kindinger gerettet, indem er ihn vor Räumung des Lagers 1945 in einer Baracke versteckte und den Befehl ausgab, jeden SS-Mann zu töten, der sich dem Versteck nähere.

Carlebach (1914 – 2001) war ebenfalls ein aktiver Widerstandskämpfer. Nach 1945 war er erst Frankfurter Stadtverordneter, dann hessischer Landtagsabgeordneter und arbeitete an der hessischen Verfassung mit. Er war Mitbegründer und Lizenzträger der Frankfurter Rundschau.

Tausende jüdische Gefangene rissen auf Anweisung der illegalen Widerstandorganisation den gelben Judenstern ab. Sie wurden auf die Baracken der anderen verteilt. In der Nacht vernichteten alle Blockältesten – also auch Jakob Kindinger – die Karteikarten der betroffenen Mitgefangenen.

„Was würde heute Max Liebster, Emil Carlebach und die vielen Tausende Mithäftlinge von Buchenwald sagen? Was würden sie Bürgermeister Richter antworten auf seine Feststellung: Man sollte den Wert des Gedenkens nicht am Erhalt des Grabes definieren?“, fragt der DGB-Vorstand.

„Die Entscheidung muss neu überdacht werden“

Der Bensheimer DGB fordert die Mitglieder des Magistrats auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben und den Beschluss gegen eine Ehrengrabregelung neu zu überdenken. „Die Außenwirkung der Stadt Bensheim wird darunter leiden, das Ansehen in antifaschistischen sowie jüdischen Kreisen auf Dauer beschädigt, wenn der Beschluss bleibt“, sagt die Bensheimer DGB-Vorsitzende Jutta Mussong-Löffler.