Führt der >Bensheimer Weg< weiter in die völlig falsche Richtung?
Städtisches Bauteam legt auch nach einem Jahr noch keine konkreten Maßnahmen zur Umsetzung des vom Stadtparlament mit zwei Beschlüssen beauftragten städtebaulichen Ideenwettbewerbs für den Bensheimer Marktplatz vorBENSHEIM. - Auch ein Jahr nach dem für den Bensheimer Marktplatz parlamentarisch gleich zweifach beschlossenen städtebaulichen Ideenwettbewerb steht die Stadtverwaltung aktuell noch immer mit leeren Händen da.
Der am 01. Dezember 2020 dem Magistrat erteilte und am 15. Juli dieses Jahres spezifizierte Auftrag ist bis dato weder umgesetzt, noch ist absehbar wann mit dem entsprechenden Verfahren begonnen werden kann. Und das, obwohl das städtische Bauteam immer wieder den Zeitfaktor für sich bemüht.
Stadtverwaltung nimmt Bezug auf zwei juristische Gutachten
Das geht aus einer Pressemitteilung hervor, die jetzt von der Stadtverwaltung präsentiert wurde. Darin wird Bezug genommen auf zwei juristische Gutachten, die vom Magistrat eingeholt wurden zur Bewertung der von einem >Empfehlungsteam< vorgeschlagenen Verfahrensänderung.
Eine solche entspricht jedoch nicht den Parlamentsbeschlüssen (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews).
Die jetzt vorgelegten juristischen Bewertungen, insbesondere die des Hessischen Städtetags, entsprechen im Wesentlichen der von FACT bereits am 04. Oktober dieses Jahres zitierten Juristen. Lediglich zur dreijährigen Bindungswirkung kommen die von der Bensheimer Stadtspitze befragten juristischen Berater zur Bewertung, diese greife im vorliegenden Fall nicht.
Hessisches Innenministerium hat sich klar positioniert
Allerdings hat sich dazu bereits das von FACT befragte Hessische Innenministerium als oberste Dienstaufsicht der Kommunen klar positioniert und die Pflicht zur Umsetzung sowie die dreijährige Bindungswirkung des Stadtverordneten-Beschlusses vom 01.12.2020 bestätigt (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews).
Die Bensheimer Stadtverwaltung hat sich jedoch nach FACT-Recherchen bis dato nicht bei ihrem höchsten Dienstaufsichtsgremium, dem Hessischen Innenministerium, kundig gemacht.
Vor diesem Hintergrund sehen zahlreiche Bensheimer Bürgerinnen und Bürger den im Frühjahr 2021 von der Stadtspitze initiierten >Bensheimer Weg<, der das Chaos um die angestrebte Marktplatz-Gestaltung „entwirren“ sollte, weiter in die falsche Richtung führend.
Auch zweiter Beschluss verlangt städtebaulichen Ideenwettbewerb am Marktplatz
Dies umso mehr, als auch der am 15. Juli dieses Jahres mit 41 Voten einstimmig gefasste Beschluss zur „Einsetzung eines Empfehlungs-Team Marktplatz und Start des >Bensheimer Wegs<“ eindeutig ein „Konzept zur Umsetzung des Beschlusses vom 01.12.2020 über die Durchführung eines städtebaulichen Ideenwettbewerbs am Marktplatz“ auf den Weg brachte.
Diesem unmissverständlichen Auftrag der Bensheimer Stadtverordnetenversammlung haben sich sowohl Stadtspitze als auch Empfehlungsteam bis dato verweigert. Vielmehr begehren sie nunmehr mit einem weiteren Parlamentsbeschluss die Sanktionierung ihres abweichenden Vorhabens.
In der städtischen Presseerklärung zu dieser Thematik heißt es:
> Die im Zuge der Marktplatz-Thematik eingeholten rechtlichen Stellungnahmen liegen dem Magistrat zwischenzeitlich vor. Hintergrund dazu ist die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung vom Dezember 2020 für einen städtebaulichen Ideenwettbewerb am Marktplatz.
Das ebenfalls auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung eingesetzte Marktplatz-Empfehlungsteam hat sich in diesem Jahr dafür ausgesprochen, ein Werkstattverfahren anstelle eines städtebaulichen Ideenwettbewerbs durchzuführen.
Folglich lautete die erste Fragestellung, die in den beiden rechtlichen Stellungnahmen behandelt wird: Widerspricht die Durchführung eines Werkstattverfahrens dem Abhilfebeschluss vom 1. Dezember 2020?
Die die Stadt beratende Anwaltskanzlei schreibt dazu, dass anhand der vorliegenden Literatur und Rechtsprechung leider nicht mit absoluter Sicherheit beurteilt werden kann, ob eine Abkehr vom im Bürgerbegehren vorgesehenen Ideenwettbewerb rechtlich zulässig wäre.
Es wird jedoch die Auffassung einer Kommentierung des Kommunalverfassungsrechts Hessen vertreten, nach der es der Gemeindevertretung unbenommen ist, den Sachbeschluss jederzeit aufzuheben und/oder abzuändern.
Nach Einschätzung des Hessischen Städtetags widerspricht die Durchführung eines Werkstattverfahrens dem Abhilfebeschluss.
Die zweite Frage lautete, ob die Bürgerinitiative gegen den Beschluss zur Durchführung eines Werkstattverfahrens klagen könnte und wie die Erfolgschancen wären.
Laut Anwaltskanzlei ist der Hessischen Gemeindeordnung kein Recht der VertreterInnen eines erfolgreichen Bürgerbegehrens auf Vollzug eines Bürgerentscheids zu entnehmen.
Durch die vorangegangenen Beschlüsse erachtet der Hessische Städtetag die notwendigen Klagebefugnisse seitens der Initiatoren des Bürgerbegehrens für gegeben, er betont aber auch: „Ob die Klage rechtlich begründet ist, steht und fällt mit der Auslegung des Gerichts zu den wesentlichen Zielen des Bürgerbegehrens und ob diese mit dem geänderten Stadtverordnetenbeschluss erreichbar sind.“
Die dritte Frage lautete: Gilt die dreijährige Bindungsfrist des Bürgerentscheids nach § 8b Abs. 7 HGO analog für den Abhilfebeschluss?
Hier vertritt die Anwaltskanzlei die Auffassung, dass keine entsprechende Frist besteht. Auch der hessische Städtetag ist der Ansicht, dass die dreijährige Bindungsfrist eines Bürgerentscheids nicht für einen Abhilfebeschluss gilt.
Die letzte Frage lautete: Lebt der Bürgerentscheid automatisch auf, sofern der Abhilfebeschluss geändert oder aufgehoben wird?
Die Anwaltskanzlei sagt hierzu, dass der Bürgerentscheid dann nicht wieder aufleben würde.
Der Hessischer Städtetag schreibt: Sofern die Stadtverordnetenversammlung alle getroffenen Beschlüsse zur Marktplatzgestaltung aufhebt und „keinen anderen Beschluss zur Gestaltung des Areals trifft, verbleibt die rechtlich verbindliche Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens“.
In Folge wäre der Bürgerentscheid durchzuführen. Der Städtetag stellt aber auch heraus: Sofern die Stadtverordnetenversammlung eine neue Entscheidung zum Verfahren der Gestaltung oder zur Gestaltung des Platzes treffen sollte, ist inhaltlich kein Raum mehr für die Durchführung des Bürgerentscheids.
Insofern würde die Stadt sich widersprüchlich verhalten, sofern sie dennoch den Bürgerentscheid durchführen würde. Wörtlich heißt es: „Wir vertreten dazu die Ansicht, dass dies grundsätzlich möglich ist, da die Entscheidung, mit welcher der Forderung des Bürgerbegehrens gefolgt wurde, keine mehrjährige Bindungswirkung hat und deshalb aufgehoben werden kann.
Allerdings besteht dagegen ein signifikantes Klagerisiko, da mit dieser Entscheidung ein ursprünglich bestehender Rechtsanspruch auf Durchführung des Bürgerentscheids beseitigt wird und eine Klage dagegen zumindest rechtlich zulässig ist.“ <
Stadtspitze gibt Entscheidung erneut ans Parlament zurück
Nun obliege es der Politik, die juristischen Stellungnahmen einzuordnen und zu entscheiden, wie mit der Empfehlung des Empfehlungs-Teams weiter verfahren wird, gibt die Stadtspitze die Entscheidung nunmehr erneut an das Parlament zurück.
Beide rechtlichen Stellungnahmen hätten der Stadt Bensheim keine Kosten verursacht. Die Arbeit der Anwaltskanzlei sei über einen Rahmenvertrag abgedeckt. Als Mitglied des Hessischen Städtetags stehe der Stadt Bensheim eine kostenfreie juristische Beratung zu.
Zur Vorgeschichte: Die Stadtverwaltung hatte aus verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern (unter anderem aus den Bereichen Kultur, Einzelhandel, Gastronomie, Architektur) im Frühjahr ein „Empfehlungs-Team Marktplatz“ zusammengestellt, das einen Vorschlag für eine Verfahrensweise zur Gestaltung und Zukunft des Bensheimer Marktplatzes entwickelte.
Man war Ende September zu der Erkenntnis gelangt: Der Ideenwettbewerb sei ein formales, geschlossenes Verfahren, das keine Öffentlichkeitsbeteiligung ermögliche.
Planungsbüros würden zur Teilnahme ausgewählt und erst nach Abschluss des Verfahrens werde das Ergebnis für die Öffentlichkeit einsehbar. Damit sei der Ideenwettbewerb kein transparenter Prozess.
Zudem müsse auf den Ideenwettbewerb ein Realisierungswettbewerb folgen, was viel Zeit und Geld koste. Daher habe sich das Empfehlungs-Team klar für ein Werkstattverfahren ausgesprochen.
Hierbei könnten sich mehrere Planungsbüros auf eine Ausschreibung mit klarer Aufgabenstellung bewerben. Die Büros würden erste Ideen und Konzepte ausarbeiten und öffneten abends ihre Werkstätten vor Ort, in denen sie sich während einer z. B. zweiwöchigen „Workshop-Phase“ mit den BürgerInnen austauschten. Dabei könnten auch Ideen eingebracht werden.
Nachdem der Input aus der Bürgerschaft in die Konzepte eingeflossen sei, würden diese der Öffentlichkeit vorgestellt und dann in einer nochmals überarbeiteten Form bei der Jury eingereicht. Nach einem abschließenden Juryentscheid könne das Endergebnis direkt in die Realisierung gehen.
Keine sachlich-fachlichen Verfahrens-Unterschiede offenbart
Die jetzt von der Stadtverwaltung vorgelegten juristischen Bewertungen gehen nicht ein auf die sachlich-fachlichen Unterschiede zwischen einem „Wettbewerb“ und einem „Werkstatt-Verfahren“.
Fachleute positionieren sich dazu mit der Bewertung, ein Wettbewerb, der seriös und korrekt durchgeführt werde, und zwar u.a. mit einem qualifizierten Preisgericht, bringe „für die Aufgabenstellung hochwertige Ergebnisse, die unbeeinflusst von Lokal-Politik und Begünstigungsabsichten sind“.
Ein Werkstatt-Verfahren werde in Bensheim vielmehr „zu einem von der Stadttochter Marketing- und Entwicklungsgesellschaft (MEGB) gesteuerten Ergebnis führen, das weder dem Marktplatz noch den Vorstellungen unserer Bürgerschaft entsprechen kann“. Die MEGB werde bei einem Werkstatt-Verfahren „ihr Ziel, ein Bauwerk zu errichten, steuern können und wohl auch erreichen“.
Im übrigen dürften MEGB-Vertreter auch bei einem Wettbewerb auf keinen Fall im Preisgericht vertreten sein, da die Stadttochter verständlicherweise nahezu ausschließlich ihre wirtschaftlichen Interessen vertreten würde.