Ideenwettbewerb Marktplatz Bensheim: Droht ein erneuter Rechtsstreit mit der BI?
Das von der BI juristisch erstrittene und dann erfolgreich durchgeführte Bürgerbegehren zementiert inhaltlich den städtebaulichen Ideenwettbewerb, der nach knapp zweijährigem Vorlauf nun endlich Fahrt aufzunehmen scheint: doch da droht möglicherweise erneut juristisches Konflikpotenzial weil die Stadtspitze den Auslobungstext nicht mit der BI abzustimmen gedenktBENSHEIM. - „Sie können es nicht lassen, haben aus der Vergangenheit nichts gelernt.“ So kommentierte ein Bensheimer Bürger die Präsentation des Ideenwettbewerbs für den Bensheimer Marktplatz vor rund 60 interessierten Bürgern im Parktheater.
Martin Fladt vom wettbewerbsbegleitenden Büro UmbauStadt skizzierte die Verfahrensschritte, die nach knapp zweijährigem Vorlauf seit dem entsprechenden Beschluss des Stadtparlaments am 01. Dezember 2020 jetzt kurz getaktet sind und bis 10. März kommenden Jahres abgeschlossen sein sollen.
Dann sollen die drei erstplatzierten Wettbewerbsteilnehmer feststehen. Der Vortrag klingt auf den ersten Blick verheißungsvoll, hat aber einen entscheidenden Webfehler.
Gültig ist ausschließlich der Parlamentsbeschluss vom 01. Dezember 2020
Der Architekt bezog sich auf die bereits zuvor von der Ersten Stadträtin und Baudezernentin Nicole Rauber Jung fehlerhafte Darstellung, Grundlage sei „bekanntlich der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom März 2022“ (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews).
Dem ist ausdrücklich nicht so, wie der Bensheimer Stadtverwaltung bereits im Dezember vergangenen Jahres von der höchsten Dienstaufsicht, dem hessischen Innenministerium, deutlich gemacht wurde.
Schon damals wollte das städtische Bauteam unter Rauber-Jung vom beschlossenen städtebaulichen Ideenwettbewerb bekanntlich hin zu einem sogenannten Werkstattverfahren abweichen.
Dreijährige Beschlussbindung ohne Abweichungen
Der zuständige Chefjurist im Innenministerium, Ulrich Dreßler, hatte die Stadtspitze daraufhin regelrecht abgewatscht und klargestellt, der Parlamentsbeschluss vom 01.12.2020, mit dem die Stadtverordneten dem Bürgerbegehren beitraten, habe eine dreijährige Bindungswirkung, die nicht unterlaufen werden könne.
So habe sich der Auslobungstext des Ideenwettbewerbs ausschließlich an dem Text des von der BI >Bensheimer Marktplatz Besser Beleben< erfolgreich gestalteten Bürgerbegehrens zu orientieren. Jede Abweichung davon sei mit den Vertrauensleuten der BI abzustimmen, um sich nicht erneut einem Prozessrisiko auszusetzen, schrieb Dreßler der Stadtspitze damals ins Stammbuch.
An diesen juristischen Fakten hat sich bis dato nichts geändert. Die Konkretisierung des Ideenwettbewerbs muss also im Falle der Textabweichung vom Bürgerbegeheren einvernehmlich mit den BI-Vertrauensleuten erfolgen, wenn die Bensheimer Stadtspitze nicht erneut Schiffbruch vor dem Verwaltungsgericht erleiden will. Dieser einvernehmlichen Abstimmung mit der BI aber versagte sich die Stadtspitze jedoch nach Aussagen der BI bisher.
Die Rolle der Bürgerinitiative als Sachverständige im Preisgericht sei gemäß eines Beschlusses der Stadtverordneten vom März 2022 festgeschrieben, hatte Rauber-Jung jetzt erklärt und gesagt: „Alle Sachverständige haben im Preisgericht die gleiche Funktion, keine Gruppe ist herausgehoben.“
Textabweichungen vom Bürgerbegehren sind mit der BI abzustimmen
Das sei innerhalb des Verfahrens durchaus korrekt, verdeutlichten jetzt von FACT befragte erfahrene Verwaltungsjuristen, treffe jedoch für den wettbewerbsleitenden Auslobungstext keineswegs zu, sofern dieser inhaltlich vom Text des Bürgerbegehrens abweiche.
Martin Fladt hatte aktuell wohl auf Basis des städtischen Briefings erläutert, die Ausschreibung erfolge nach den Richtlinien der Hessischen Architektenkammer mit der zusätzlichen Bensheimer Maßgabe einer Bürgerpartizipation, weil man „darauf großen Wert“ lege.
Unerwähnt blieb am Abend der Verfahrenspräsentation allerdings der Inhalt der Auslobung, da dieser noch nicht finalisiert sei, wie Fladt auf Nachfrage erläuterte. Auch das sei nur zutreffend, soweit sich das Verfahren ausschließlich am Inhalt aus dem erfolgreichen Bürgerbegehren orientiere, konkretisierten die Verwaltungsjuristen.
„Handlungsspielraum von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung ist eingeengt“
Gemessen an dem juristischen Hinweis aus dem Innenministerium: „Ich komme um die Feststellung nicht herum, dass wegen der ganzen Vorgeschichte der Handlungsspielraum von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung >eingeengt< ist“, kann die Auslobung, sofern sie vom Text des Bürgerbegehrens abweicht, folglich nur mit ausdrücklicher Zustimmung der BI-Vertrauensleute erfolgen.
Schon beim Preisrichtervorgespräch habe es bereits drei Tage zuvor schon „kontroverse und lebendige Debatten“ gegeben, wie Martin Fladt bei der Bürgerpräsentation einräumte.
Es wird „mit harten Bandagen gekämpft“
Solche Debatten seien insbesondere in der finalen Phase des Wettbewerbs in der Jury erwünscht, wenn die besten Entwürfe gekürt werden müssen. Dann werde „mit harten Bandagen gekämpft“. Diese „Kämpfe“ könnten jedoch schon deutlich früher einsetzen, „wenn die Stadtspitze weiter auf ihrer sturen Haltung gegenüber der BI beharrt“, orakelt der Bensheimer Insider.
Der sachkundige Mann zeigte sich entsetzt, dass offenbar dem Frankfurter Wettbewerbsbüro die juristischen Leitplanken des Wettbewerbs nicht bekannt gegeben worden seien, und Martin Fladt so die fehlerhafte Darstellung Rauber-Jungs bezüglich des maßgeblichen Beschlusses übernommen habe.
Jugendlicher Zwischenrufer mit nackten Zahlen widerlegt
Auch sei dem jugendlichen Zwischenrufer im Parktheater zu widersprechen, der ungefragt und offensichtlich ohne Sachkenntnis äußerte, die BI repräsentiere ja nur einen kleinen Teil der Bensheimer Bevölkerung.
Dies sei alleine durch die nackten Zahlen widerlegt, bemerkte ein anderer Bürger: bezogen auf die ursprünglich mehr als 4.000 BI-Unterstützer, die nach städtischer Prüfung auf knapp unter 4.000 gültige Stimmen reduziert wurden, seien es im Bezug zu den Wahlberechtigten in Bensheim 12,11% Unterstützer in der Gesamtsumme und immerhin noch 10,54% der Wahlberechtigten nach der städtischen Reduktion.
Im Vergleich zum Kommunalwahlergebnis 2016 wäre die BI folglich die zweitstärkste politische Gruppierung in der Stadt hinter der CDU mit 16,35%, bezogen auf die Wahlberechtigten, und noch vor der damals zweitstärksten Gruppierung SPD mit 8,59%. Bei der Kommunalwahl 2021 hatten beide politische Gruppierungen noch weniger Stimmenanteile zu verzeichnen.
Vor diesem Hintergrund sei die Aussage des Zwischenrufers wohl nur einer sachfremden jugendlichen Profilneurose zuzuordnen, sagte der erfahrene Bensheimer.
„Gordischen Knoten“ lösen und Kassensturz betreiben
Neben dem also elementar von der Stadtspitze jetzt noch zu lösenden „gordischen Knoten“ mit der BI spielte bei der Bürgerpräsentation auch das Preisgeld eine nicht unerhebliche Rolle.
Dem Plan, am Freitag, 10. März 2023, die Vorstellungen der Architekten, Städteplaner und Landschaftsarchitekten für den Marktplatz vom Preisgericht begutachten und entscheiden zu lassen, hat die Teilnahme zahlreicher Planungsbüros voranzugehen.
Dies sei jedoch nur mit attraktiv ausgelobten Preisgeldern zu erreichen, machte Fladt deutlich. Die derzeit von städtischer Seite zur Verfügung stehenden 58.000 Euro seien dazu nicht ausreichend, hatten die Fachpreisrichter zuvor befunden.
Zehn Prozent des Gesamtpreisgeldes für zwei innovative „Anerkennungspreise“
Dies insbesondere auch, weil 10 Prozent des Gesamtpreisgeldes nicht an die drei Erstplatzierten gingen, sondern für zwei innovative „Anerkennungspreise“, in Bensheim jedoch nicht umsetzbare Vorschläge, ausgelobt würden.
Hier wolle die Stadt über die derzeitigen Gesamtkosten des Verfahrens von 190.000 Euro hinaus gehen, noch einmal Kassensturz betreiben, und ggf. mit eventuell weiter verfügbaren Mitteln nachbessern, um attraktive Anreize für eine Wettbewerbsteilnahme zu schaffen. Die eingereichten Vorschläge gehen dann ins Eigentum der Stadt über.
Bei entsprechenden finanziellen Anreizen lasse sich dann eine Vielzahl von Wettbewerbern erwarten, „die alle Bereiche abdecken“, sagte Martin Fladt.
Sieben Fach- und Sachpreisrichter müssen entscheiden
Deren Vorstellungen werden dann von sieben Preisrichtern, unterteilt in vier Fach- und drei Sachpreisrichter, begutachtet. Diesen gehören auf der fachlichen Seite durchaus renommierte Büros an, während auf der Sachpreisrichterseite mit Bürgermeisterin Christin Klein, Erster Stadträtin und Baudezernentin Nicole Rauber-Jung sowie der „Fraa vun Bensem“ Doris Walther das Gremium ergänzen.
In beratender Funktion ohne Stimmrecht fungieren darüber hinaus sogenannte Sachverständige, bestehend aus Mitgliedern der einzelnen Stadtverordneten-Fraktionen, der Bürgerinitiative, dem Bürgernetzwerk, dem sogenannten „Empfehlungsteam“ als verbliebenem Relikt des von der Stadtspitze installierten „Bensheimer Wegs“ sowie der Stadttochter Marketing- und Entwicklungsgesellschaft (MEGB).
Nach dem geplanten Abgabetermin am 10. Februar 2023 sollen die eingereichten Vorschläge der Wettbewerber in mehreren Wertungsrunden reduziert, und eine „Vergleichbarkeit hergestellt werden“.
Vom 21. bis 26. März 2023 sollen die ausgezeichneten Modelle präsentiert werden
Die preiswürdigen Vorschläge sollen den Sachpreisrichterinnen präsentiert und von diesen die einzelnen Preisränge eingestuft werden. Die getroffene Vereinbarung, keinen Erst-, Zweit- oder Drittplatzierten zu benennen, sondern lediglich eine Preisgruppe auszuzeichnen, mache „die Aufgabe attraktiver“, sieht Martin Fladt dem Wettbewerb optimistisch entgegen.
Die Honorare der Fachpreisrichter orientieren sich an der Honorarordnung der hessischen Architektenkammer, die teilnehmenden Büros erhalten keine zusätzliche Antrittsvergütung, die Sachverständigen sind ehrenamtlich tätig.
Vom 21. bis 26. März sollen dann die ausgezeichneten Modelle der Wettbewerber ausgestellt und der Öffentlichkeit präsentiert werden. Dann sollen die Bürger auch mit den Planern sprechen können und weitere Anregungen geben, die dann noch in die Entwürfe eingearbeitet und erneut präsentiert werden sollen.
Final ist ein nichtöffentlicher Workshop für die städtischen Parlamentarier vorgesehen, die dann eine endgültige Entscheidung zum >Marktplatz der Zukunft< treffen müssen.