Stell dir vor, es ist Wahl und niemand geht hin …
Seit Mai kämpft Dr. Josefine Koebe erstmalig um das Direktmandat für einen Einzug ins hessische Landesparlament: Die Bilanz einer Kandidatin, die aus Wahlkampf einen Demokratiekampf machteBERGSTRASSE / BENSHEIM. - Klingeling. „Moment“, schallt es von oben. „Bin gleich da.“ Eine Haustür im Ortsteil Fürth-Fahrenbach, die sich für Josefine Koebe öffnet.
Für die 35-jährige Bensheimerin ist Freitag nachmittags eine volle Arbeitswoche vorbei und damit beginnen für sie seit nunmehr bald sechs Monaten die Klingeltöne der dreizehn Städte und Gemeinden des östlichen Bergsträßer Wahlkreises.
„Für mich ist das eine Überwindung an der Haustür“, sagt Eva Middleton, Stadtverordnete aus Bensheim. „Wenn man aber Josefine erlebt, wie sie ihrem Gegenüber begegnet, bei populistischen Parolen ruhig und empathisch bleibt und immer wieder zum Reflektieren einlädt, wo ich selbst lange aufgegeben hätte, der spürt, dass Koebe zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.“
Viel bedeutsamer als aktuelle Wahlprognosen, die in Hessen derzeit keine Wechselstimmung voraussagen, sei für Koebe ein für sie spürbares Desinteresse am demokratischen Willensbildungsprozess, was sich in deutlich sinkenden Wahlbeteiligungen abzeichne.
Ein Erklärungsfaktor sei für Koebe, dass viele Menschen keinen Bezug ihrer Lebensrealität zur Politik in Wiesbaden oder Berlin sehen.
Umso wichtiger erscheint der bislang ehrenamtlich engagierten Kommunalpolitikerin die Notwendigkeit, den Menschen in ihrem Alltag, an den Haustüren und auf den Supermarktparkplätzen zu treffen und dies auch nach einem möglichen Einzug als Landesparlamentarierin fortzuführen.
„Eine monatlich angebotene Bürgersprechstunde oder exklusive Parteiveranstaltungen bringen keinen Nichtwähler an die Urne zurück“, ist sich Koebe sicher.
Diese „Demokratie der Wenigen“ sei nicht robust genug, um gegen die große Sehnsucht nach einfachen Lösungen in einer sich zunehmend schneller verändernden Welt anzukommen.
Eine kürzlich veröffentlichte Bertelsmann-Studie zeigt, dass sich 81 Prozent der Befragten mehr Mitbestimmung wünschen. 76 Prozent der Menschen gingen jedoch davon aus, dass Politiker eigentlich gar keine Mitbestimmung von Bürgern wollen.
Diesem zunehmend schlechten Image von politisch Verantwortlichen will Koebe aktiv mit einem frischen Politikstil entgegentreten, der mehr Mitbestimmung auch während Legislaturperioden möglich macht.
Diese Position vertrat Koebe auch kürzlich auf einem digitalen Podium auf Einladung des Landesverbands Hessen von Mehr Demokratie e.V., die Bürgerräte aus zufällig ausgewählten Bürgern auf Landes- und kommunaler Ebene in Hessen einführen wollen.
Diese Bürgerräte sollen die Politik beraten und ihre Ergebnisse verbindlich aufgegriffen werden. Zurecht, argumentiert die SPD-Kandidatin, die sich durch die Beratung von einem repräsentativeren Querschnitt der Bevölkerung bessere, lebensnähere politische Entscheidungen und damit auch eine höhere Akzeptanz für staatliche Maßnahmen erhofft.
Auf Bundesebene steht nach drei zivilgesellschaftlich organisierten Bürgerräten der erste Bürgerrat des Deutschen Bundestags in den Startlöchern.
Dass die großen Hürden für direkte demokratische Elemente auf Landesebene, z.B. durch zu hohe Zustimmungsquoren bei Volksbegehren, weiter gesenkt werden müssten, auch da geht Koebe mit den Forderungen von Mehr Demokratie e.V. mit.
Vielleicht auch ein Grund, weshalb die Organisation „Brand New Bundestag“ Koebe als eine von acht Kandidierenden aus dem gesamten Parteispektrum im hessischen Landtagswahlkampf ideell fördert.
Überparteilich hätte Koebe in diesem Wahlkampf auch gerne mehr über das zentrale Thema in Länderverantwortung diskutiert, das einer Umfrage des Hessischen Rundfunks zufolge als Wahlkampfthema sogar höchste Priorität seitens der Hessen genießt: Koebes Fach- und Herzensthema, die Bildungspolitik.
Koebe gehe es dabei nicht nur um mehr Geld, sondern auch um eine andere Prioritätenliste. Ein Oberstufenklassen anfahrender „Zukunftsbus“ sei als eine PR-Kampagne der hessischen Landesregierung für sie weniger notwendig als eine bessere Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte in Bezug auf die Vermittlung von digitaler Bildung.
Jedes Kita- und Schulkind mit einem gesunden Mittagsessen zu versorgen und dafür verbindliche Standards zu setzen, durch kostenlosen Schultransport Kinder schon früh an öffentliche Mobilität heranzuführen sowie Vertretungslehrkräfte nicht länger vor den Sommerferien zu entlassen sind für die promovierte Volkswirtin weitere wichtige Forderungen, für die eine CDU-geführte Landesregierung Koebes Einschätzung nach leider zu wenig übrighat.
Es sei dringend Zeit für die langfristige ökonomische Perspektive im Verteilungskampf der Ressourcen, dass sich Bildungsinvestitionen in der frühen Kindheit später auszahlen und auch in der Migrationsdebatte eine essentielle Rolle spielen.
So fachlich gehe es aber meistens nicht zu an den Haustüren, und nur mit dem Finger auf die politische Konkurrenz zu zeigen, sei auch nicht ihr Stil, sagt SPD-Kandidatin Josefine Koebe.
„Dass Politiker sich ständig aus der Verantwortung reden und die Schuld für Fehler oder Fehlentwicklungen bei anderen suchen, ist eines der zentralen Probleme unserer Politik heute.“
Neben dem standardisierten Wahlkampf-Flyer entschied sich die vierfache Mutter dazu, den Fokus von Fachthemen auf die für sie viel brennendere Frage nach der Ausgestaltung und Stärkung unserer Demokratie zu lenken und gleichzeitig Vertrauen in ihre Fähigkeiten als Botschafterin und Macherin für die Bergstraße aufzubauen.
Eine ihrer Kommunikations-Maßnahmen: Eine mit „Liebe Demokratie“ betitelte Postkarte in jedem Briefkasten, die angelehnt an den bekannten Satz „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“ an das hart erkämpfte Privileg eines demokratischen Wahlrechts erinnert, für das sie sich wieder eine höhere Wertschätzung und mehr Begeisterung wünscht.
Koebes Bilanz von ihrer Tour durch Odenwald, Ried und Bergstraße bestätigt sie in ihrem natürlichen Optimismus.
Der Freitag nachmittags ausgesprochenen Einladung am Samstag zu ihrem rotem Wahlkampfbus am Supermarkt, Wertstoffhof oder Familienzentrum auf eine regionale Quittenschorle für die Fortsetzung des Gesprächs an der Haustür zu kommen, seien überraschend viele Menschen gefolgt. Ob Koebe auch viele Menschen an die Wahlurne folgen, zeigt sich am 8. Oktober.