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Grauen und Hoffnung

Evangelisches Dekanat Vorderer Odenwald und BDP zeigen „Bag Mohajer – Tasche des Flüchtlings“ in der Stadthalle Groß-Umstadt + + + Gespräch mit Regisseur und Protagonisten

ODENWALD. - Der Faden läuft in Großaufnahme von der Spule. „Ich denke nicht, dass den Käufern solche Gedanken kommen, wie sie uns beim Nähen der Taschen kommen“, sagt eine männliche Stimme. Der Film „Bag Mohajer – Tasche des Flüchtlings“ zieht seine Zuschauerinnen und Zuschauer sofort in den Bann.

Morteza, Mansour und Hakim sind die Protagonisten des Films. Geflüchtet vor dem Krieg in Afghanistan sitzen sie in Griechenland fest. Das Projekt „Bag Mohajer“ gibt ihnen neue Hoffnung. Ruby hat es initiiert, eine junge, hübsche Frau, die Modedesign studiert hat und 2009 zum ersten Mal mit Freundinnen auf der griechischen Insel Lesbos war.

Als sie erfuhr, dass viele Näher aus dem Iran in Griechenland waren, kam ihr die Idee, Taschen nähen zu lassen – etwas Nützliches, das auch die Flüchtlinge bei ihrer Weiterreise brauchen können. Sie eröffnet eine Werkstatt in Athen. Dort nähen die Geflüchteten Taschen aus Rettungswesten und Booten, die auf Lesbos auf großen Müllhalden liegen.

Auftakt einer kleinen Deutschlandtournee

Der Filmabend in der Stadthalle in Groß-Umstadt, veranstaltet von Evangelischem Dekanat Vorderer Odenwald und Bund Deutscher Pfadfinder_innen und unterstützt von der Sparkasse Dieburg, war der Auftakt für eine kleine Deutschlandtournee des Films. Er geht auf den 29-jährigen Frankfurter Filmemacher Adrian Oeser zurück, Enkel von Umweltpfarrer Kurt Oeser und in Groß-Umstadt aufgewachsen.

Adrian Oeser hat Politikwissenschaften, Pädagogik und Soziologie studiert und absolviert – als Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung – einen Aufbaustudiengang Filmregie an der Filmakademie Baden-Württemberg. Die Idee zu dem Film kam Adrian Oeser, nachdem ein Freund ihm von dem Projekt erzählt hatte. Er sei beeindruckt gewesen von der „Ambivalenz der Taschen“.

In ruhigen Bildern erzählt Adrian Oeser vom Entstehungsprozess der Taschen, von den Geschichten und Schicksalen, die dahinter stehen, von den Träumen und Hoffnungen der Protagonisten. Und von Freundschaft und Unterstützung. Das Meer zeigt sich in all seiner Weite, als Sehnsuchtsort und als das, was es für viele Geflüchtete eben auch ist: ein Grab.

Morteza wĂĽnscht sich ein friedliches Leben und Bildung, Mansour war vom ersten Moment seines Lebens an ein Zuwanderer, seine Eltern flĂĽchteten aus Afghanistan, er wurde im Iran geboren. Hakim lebt mit Frau und Kindern seit elf Jahren in Griechenland; sie kamen nicht mehr weg und jetzt hat er sich entschieden zu bleiben.

Die Männer erzählen von den Zuständen in den Flüchtlingscamps, wo es für 200 bis 300 Leute eine Toilette gibt, davon, dass sie sich mit einem Paddelboot auf den Weg von der Türkei nach Griechenland gemacht haben und acht Stunden auf dem offenen Meer waren.

In einer Szene fahren die Protagonisten mit dem Auto zu einer MĂĽllhalde. Sie ziehen Handschuhe an und machen sich auf die Suche nach neuem Material. Tausende von Taschen und Booten liegen hier an diesem entlegenen Ort. Was ist aus den Menschen geworden? Leben sie noch?

Boote sind Teil der Realität von Migranten

Die Taschen tragen Symbole von Freiheit und Frieden und die Namenszüge derer, die sie genäht haben. „Mit diesem Projekt können wir die Wahrheit von den Flüchtlingen erzählen“, sagt Ruby. Dass Menschen in den Booten und Westen sterben, sei „Teil der Realität von Migranten“. Den Geflüchteten gibt das Projekt Arbeit und Perspektive.

Drei Frauen und fünf Männer sind mittlerweile dort beschäftigt. Durch die Präsenz in den Medien hätten sie mehr Spenden bekommen, erläutert Ruby im anschließenden Publikumsgespräch. Damit hätten sie weitere Nähmaschinen anschaffen und in Athen eine größere Werkstatt beziehen können.

„Wir brauchen eure Hilfe“

Ein älterer Mann schildert, auch mit Blick auf das hohe Wahlergebnis der rechtspopulistischen AfD, wie er miterlebt habe, dass ein kaputtes Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg mit sieben bis acht Millionen Flüchtlingen umgehen musste und dass es nicht lange gedauert habe, bis aus Aversion Sympathie geworden sei.

Sein Appell: Das heutige wohlhabende Deutschland habe seine Aufnahmemöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft. Ein junger Mann aus Syrien, seit zwei Jahren in Deutschland, meldet sich zu Wort, und berichtet, dass es ihm beim Anblick der Boote kalt den Rücken heruntergelaufen sei. „Ich bitte euch, den Flüchtlingen zu helfen, sie zu integrieren“, sagt er, „wir brauchen eure Hilfe!“

Der Film habe sie sehr berührt, sagt eine Frau, vor allem die Szene auf dem Müllberg. Sie habe eine Tasche am Verkaufsstand gekauft und wisse noch nicht, mit welchen Gefühlen sie diese tragen werde. „Aber abgesehen davon wollte ich sagen: Die Taschen sind einfach schön!“