Mehr Zeit fĂŒr die Pflege

Der Pflegedienst der Sozialstation Messel ist seit sage und schreibe 108 Jahren in der TrÀgerschaft des Frauenvereins. Das ist einmalig auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Aktuell sucht auch diese Sozialstation PflegekrÀfte. Foto: Silke Rummel
SĂDHESSEN. - Die Sozialstation in Messel ist klein, aber oho. Der Pflegedienst ist seit mittlerweile 108 Jahren in der TrĂ€gerschaft des Frauenvereins.
Das ist einmalig auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Wie viele andere sucht auch die Sozialstation PflegekrÀfte.
âEs war ein Festtag fĂŒr das ganze Dorf. GroĂ und Klein war auf den Beinen, um âdie Schwesterâ zu begrĂŒĂen und willkommen zu heiĂenâ, heiĂt es in der Festschrift zum 100-jĂ€hrigen Bestehen der Sozial- und Gemeindepflegestation Messel.
Am Erntedanktag, dem 26. Oktober 1913, wurde die erste Diakonie- und Gemeindeschwester, Schwester Lina Endres, in einem Gottesdienst durch den damaligen Ortspfarrer, Dekan Gustav WeiĂgerber, eingefĂŒhrt. Es war Pionierarbeit.
Mit der GrĂŒndung des Frauenvereins als TrĂ€gerverein war so recht frĂŒh, noch vor dem Ersten Weltkrieg, die medizinische Versorgung in dem kleinen Dörfchen Messel gesichert. AuĂer der Gemeindeschwester gab es noch eine Hebamme.
Die Initiative sei von der Kirchengemeinde unter Pfarrer WeiĂgerber ausgegangen, der sehr viel Wert auf Sozialarbeit und kirchliche Diakonie gelegt habe, berichtet Pfarrerin Elke Burkholz, die auch Vorsitzende des Frauenvereins ist. Bis heute ist es in der Satzung so geregelt, dass der Ortspfarrer oder die Ortspfarrerin den Vorsitz des Frauenvereins innehat.
Die Kirchengemeinde Messel gehörte mit zu den ersten Gemeinden in Hessen, die sich dem 1906 in Darmstadt gegrĂŒndeten Hessischen Diakonieverein angeschlossen hatten. Der ist von jeher AnstellungstrĂ€ger der in Messel tĂ€tigen Gemeindeschwestern.
Die Schwestern kamen aus stĂ€dtischen, liberalen und bĂŒrgerlichen Kreisen. Die jungen Frauen leisteten auĂer Krankenpflege auch so etwas wie gemeindepĂ€dagogische Arbeit, indem sie wie in Messel Jungfrauenvereine grĂŒndeten, berichtet Elke Burkholz.
Sie versuchten, die âsoziale Stellung der Frauâ zu heben und etwas fĂŒr die âallgemeine Sittlichkeitâ zu tun, also die MĂ€dchen davon abzuhalten, mit den Jungs in die Kneipe zu gehen.
WeiĂes HĂ€ubchen und Tracht
Jahrzehntelang war es in Messel Usus, dass jede junge Frau nach ihrer Verheiratung Mitglied im Frauenverein wurde. Seit 1969 sichert ein Vertrag zwischen Kommune, evangelischer und katholischer Kirchengemeinde das Fortbestehen der Sozialstation im Falle eines Defizits, der aber noch nie in Anspruch genommen worden sei, sagt Elke Burkholz.
Bis zur Erweiterung der Sozial- und Gemeindepflegestation Messel und dem Neubau Mitte der 1970er Jahre gab es nur eine Gemeindeschwester, erkennbar an den markanten weiĂen HĂ€ubchen und der Tracht. Schwester Renate zum Beispiel kam 1962 mit 24 Jahren nach Messel und wirkte hier bis zu ihrem plötzlichen Tod 1981.
Sie sei eine groĂe, starke Frau gewesen, die eine wichtige Rolle im Ortsgeschehen gespielt habe, sagt die heutige Leiterin der Sozialstation Ulrike Wenchel. âDie Leute hatten Respekt vor ihr.â
Mit EinfĂŒhrung der Pflegeversicherung 1994 waren die Pflegeeinrichtungen angehalten, kostendeckend zu arbeiten. Dass es den Frauenverein als TrĂ€gerverein gibt, erweist sich auch hier als Vorteil.
Durch die MitgliedsbeitrĂ€ge und Spenden kann die Sozialstation Messel Hilfen und Zuwendungen erbringen, die ĂŒber den gesetzlichen Leistungskatalog hinausgehen â sogenannte âdiakonische Zeitenâ.
âWir haben dadurch mehr Zeit fĂŒr die Menschen, die betreut werden, wir können die Angehörigen unterstĂŒtzen und Sterbebegleitungen anbietenâ, sagt Ulrike Wenchel. Seit 2014 gibt es sogar eine âZeitraumâ-Gruppe fĂŒr dementiell Erkrankte, was ungewöhnlich ist fĂŒr eine so kleine Station.
Hohe persönliche Akzeptanz
Zwischen 50 und 60 hilfebedĂŒrftige Menschen in Messel werden derzeit von der Sozialstation an sieben Tagen in der Woche zu Hause versorgt. Mit seinen rund 500 Mitgliedern ist der Frauenverein nach der TSG, der Turn- und Sportgemeinschaft, der zweitgröĂte Verein in Messel.
Doch wie viele andere Einrichtungen hat auch die Sozialstation Personalnot. Dabei habe die Arbeit hier viele Vorteile: Im Gegensatz zum Dienst in stationĂ€ren Einrichtungen beginne der FrĂŒhdienst erst um 7 Uhr, der Abenddienst sei gegen 20 Uhr zu Ende sagt Ulrike Wenchel.
Es gibt keine Nachtdienste, wohl aber Rufbereitschaften. âDer Kontakt zu den Patienten ist enger, die Beziehung insgesamt familiĂ€rerâ, fĂŒhrt die Leiterin weiter aus. âEs gebe eine sehr hohe persönliche Akzeptanz â diese RĂŒckmeldung bekomme ich immer wiederâ, ergĂ€nzt Elke Burkholz.
Aktuell sind neun PflegefachkrĂ€fte beschĂ€ftigt, drei Alltagsbegleiterinnen sowie fĂŒr die âZeitraumâ-Gruppe eine SozialpĂ€dagogin im Mini-Job und acht bis zehn Ehrenamtliche. Mindestens eine volle Stelle hĂ€tte die Sozialstation zu besetzen, auch Mini-Jobber werden immer wieder gesucht.
Familienfreundlichkeit wird groĂ geschrieben. âWir nehmen gerne MĂŒtter und VĂ€ter von kleinen Kindern und helfen auch bei der Betreuungâ, sagt Elke Burkholz.
Kontakt
Sozial- und Gemeindepflegestation des Frauenvereins e.V., Kohlweg 17, 64409 Messel, Telefon: 06159-375 | E-Mail: sozialstation-messel(at)gmx.de Internet: www.pflegemessel.de