Sofortvollzug aufgehoben: Gegenwind aus Mossautal stoppt vorläufig zwei Kahlberg-Windräder
Trinkwasserschutz hat Vorrang: Verwaltungsgericht Darmstadt hebt den Sofortvollzug von zwei der auf dem Kahlberg zwischen Fürth und Grasellenbach geplanten fünf Windräder auf und stoppt die Arbeiten, weil der Trinkwasserschutz für die Mossautaler Gemeinden Hiltersklingen und Hüttenthal stark gefährdet istDARMSTADT / MOSSAUTAL / FÜRTH / GRASELLENBACH. - Sorgten die zahlreichen Plakate und Protestkundgebungen der Bürgerinitiative (BI) Kahlberg schon vor Beginn der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt gegen den Sofortvollzug der fünf Windräder auf dem namensgleichen Höhenrücken zwischen Fürth und Grasellenbach für großes Erstaunen bei den Prozessbeteiligten, so war deren Erstaunen nach der Urteilsverkündung noch deutlich spürbarer.
Das Gericht hatte nach rund vierstündiger Verhandlung dem Regierungspräsidium aufgegeben, den Sofortvollzug hinsichtlich der Genehmigung von zwei Windkraftanlagen auf dem Kahlberg, die im Einzugsbereich der Schmerbachquelle gebaut werden sollen, aufzuheben.
Klage der Gemeinde Mossautal stützt sich auf die Gefährdung der Trinkwasserversorgung
Damit ist faktisch ein Baustop für zwei der fünf genehmigten Windkraftanlagen verfügt. Die beiden jetzt mit Baustopp versehenen Windradstandorte befinden sich auf Fürther Gemarkung.
Im Rahmen dieses Erörterungstermines wurden alle rechtlichen Aspekte des Klageverfahrens der Gemeinde Mossautal gegen die auf dem Kahlberg genehmigten Windkraftanlagen erörtert.
Die Klage der Gemeinde Mossautal stützt sich auf eine Gefährdung der Trinkwasserversorgung für die Mossautaler Ortsteile Hüttenthal und Hiltersklingen.
Bei der Erörterung machte das Gericht deutlich, dass es den Argumenten der Gemeinde Mossautal, vertreten durch den Bensheimer Rechtsanwalt Dr. Stefan Glatzl zuneigt, dass die Auflagen für den Trinkwasserschutz zu unbestimmt und damit rechtswidrig seien. Ein Sofortvollzug der Genehmigung könne daher nicht aufrechterhalten werden.
Etappensieg: RP muss Sofortvollzug zurücknehmen
Dem Regierungspräsidium wurde aufgegeben, den Sofortvollzug für den Bau der zwei Windkraftanlagen, die im Einzugsbereich der Schmerbachquelle gebaut werden sollen, aufzuheben.
Dies werten Kläger und die sie unterstützende Bürgerinitiative Kahlberg gegenüber der Genehmigungsinhaberin EnBW als Etappensieg.
Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass im Rahmen der Erörterung die Vertreter der EnBW einräumen mussten, dass zwischenzeitlich auch am Standort der geplanten Windkraftanlage 2 begonnene Baumaßnahmen (Ziehen von Wurzelstöcken) aufgrund von Bedenken des die Baumaßnahme begleitenden Hydrogeologen eingestellt werden mussten.
„Das zeigt, dass die Bedenken der Bürgerinitiative und der Gemeinde im Hinblick auf eine Gefährdung des Trinkwassers real sind.“
Bürgerinitiative sieht sich bestätigt
Die jüngsten „Veröffentlichungen der EnBW, die darlegen sollten, dass die geplanten Windkraftanlagen in Kürze errichtet werden, sind damit ad absurdum geführt“, konstatiert Michael Karb.
Dass am Kahlberg Windkraftanlagen gebaut werden, sei mit dieser Gerichtsentscheidung jedenfalls aus Sicht der BI-Kahlberg unwahrscheinlicher geworden.
Die Bürgerinitiative sieht sich darin bestätigt, dass Eingriffe in die Erd-Deckschicht oberhalb von stark zerklüfteten Sandsteinformationen (wie im Odenwald häufig vorhanden) „Wasserpfade verändern, Wasserverschmutzungen auslösen oder sogar Quellen zum Versiegen bringen können“.
„Trinkwasserschutz für die Bürger rücksichtslos missachtet“
Gegen den Sofortvollzug der durch das Regierungspräsidium Darmstadt am 30. Dezember 2016 erteilten Baugenehmigung auf Fürther und Grasellenbacher Gemarkung geklagt hatte die benachbarte Gemeinde Mossautal, deren Gemeindevertretung im Februar diesen Jahres die Klage zum Schutz der Trinkwasserversorgung für Hüttenthal und Hiltersklingen für unausweichlich angesehen und beschlossen hatte.
„Trinkwasserschutz für die Bürger wird dabei rücksichtslos missachtet“, hatten sowohl der Mossautaler Bürgermeister Dietmar Bareis als auch die Gemeindevertreter ebenso einmütig angeprangert wie die BI um den agilen Michael Kahl, denn die Sicherheit des qualitativ hochwertigen Trinkwassers könne schließlich nicht für immer aufs Spiel gesetzt werden.
Freude über Teilerfolg
„Wir konnten zumindest einen Teilerfolg verbuchen“, freute sich Kahl nach dem aktuellen Gerichtsentscheid. Gleichwohl gelte es nicht inne zu halten, denn noch sei dies erst der erste wichtige Schritt zum Ziel, das eindeutig mit der Verhinderung des Windradbaus im Einzugsgebiet der Schmerbachquelle definiert sei.
Zur Vorgeschichte: Im 72-seitigen Genehmigungsbescheid für die Rotoren vom Jahresende 2016 sind zahlreiche Punkte aufgeführt, die von der Betreiberseite von vornherein nicht berücksichtigt worden seien, erläutert der Mossautaler Rathauschef.
So sollte der Bau der Windräder mit den Betreibern der im Einzugsgebiet liegenden Quellen abgestimmt werden – was jedoch ebenso wenig geschehen sei wie eine förmliche Beteiligung der Gemeinde Mossautal am Baugenehmigungsverfahren.
Schmerbachquelle unverzichtbar
Wie Bareis weiter mitteilte, sind von den im Entnahme-Bewilligungsbescheid jährlich zulässigen 70.000 Kubikmeter Wasser im Jahr 2016 rund 62.000 verbraucht worden. Dies belege deutlich, dass man auf die Schmerbachquelle keinesfalls verzichten könne und der Puffer recht dünn sei. Auch gebe es in Mossautal keine Ringleitung, über die das lebenswichtige Nahrungsmittel im Notfall aus den Quellen anderer Ortsteile entnommen werden könne.
Die Mossautaler Bürger hatten aus einer Presseveröffentlichung des RP vom 30. Dezember 2016 überraschend von der Baugenehmigung erfahren, die allerdings 56 Auflagen zum Wasserrecht beinhaltete. Ein Sofortvollzug wurde damals noch nicht angeordnet.
Klage und Gegenklage
Darauf reichte die Kommune am 5. Januar Klage beim Verwaltungsgericht ein. Die damalige Betreiberfirma Gaia beantragte am 10. Januar den Sofortvollzug, bevor am 20. Januar ein Betreiberwechsel zur EnBW Windkraftprojekte GmbH angezeigt wurde.
Die neue Genehmigungsinhaberin stellte ebenfalls Antrag zum sofortigen Vollzug der Genehmigung, dem das RP am 16. Februar stattgab. Eingeschränkt wurde diese insoweit, als für alle im Baugebiet befindlichen Quellen eine Ersatzwasserversorgung sowie der Einbau entsprechender Filter angeordnet wurden.
Gegen diese Bestimmungen hat der Betreiber seinerseits wieder Gegenklage erhoben, während die Mossautaler gegen den Sofortvollzug klagten.
„Ersatzwasserversorgung mit Tankwagen zumutbar“
Schon im Genehmigungsbescheid hatte das RP Eingriffe in die Grundwasserleiter durch den Bau der für die Windräder nötigen Fundamente als „in hohem Maße möglich erachtet“. Somit seien eine dauerhafte Trübung und Verschmutzung des Trinkwassers zu befürchten.
Die in diesem Zusammenhang erteilten Genehmigungsauflagen seien keineswegs allesamt erfüllt worden, sagte Bürgermeister Bareis. Immerhin habe das RP Darmstadt den Investoren zahlreiche Auflagen gemacht, weil die Schmerbachquelle nur 900 Meter entfernt von den geplanten Anlagen im Wasserschutzgebiet liegt.
Empört hatten sich die Mossautaler insbesondere darüber, dass in einer Stellungnahme des RP zur Mossautaler Klage stehe, dass eine Ersatzwasserversorgung mit Tankwagen aus Sicht der Behörde nicht grundsätzlich ausgeschlossen, also zumutbar wäre.
Dank an Gemeinde Mossautal
Die BI-Kahlberg dankte dem Mossautaler Gemeindevorstand, dass dieser „die Gefährdung für die Trinkwasserversorgung jederzeit ernst genommen und mit Unterstützung der Bürgerinitiative nun zunächst eine Gefährdung der Trinkwasserversorgung im gerichtlichen Wege verhindert hat“.
Für die verbleibenden Windkraftanlagen nahe Hammelbach und Grasellenbach verbleibt es bei der Anordnung des Sofortvollzuges. Die BI-Kahlberg hofft, dass die dort ebenfalls – nun gerichtlich als ungenügend eingestuften – Schutzanordnungen für das Trinkwasser auch für die dort wohnenden Bürger nachgebessert werden.
Rund 30 BI-Mitglieder mit stillem Protest dabei
Hiervon unabhängig werde die BI-Kahlberg alle gerichtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Trinkwassergefährdung für alle betroffenen Bürger abzuwenden. Für die Bürgerinititaive habe sich mit diesem Teilerfolg gezeigt, dass sich bürgerschaftliches Engagement lohne und der Protest von mündigen Bürgern Wirkung zeigen könne.
Während des Erörterungstermines fanden sich ca. 30 Frühaufsteher aus dem Odenwald zu einem stillen Protest vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt zusammen, „die den Prozeßbeteiligten und interessierten Passanten aufzeigten, dass Trinkwasser eine hohes Schutzgut ist, für dass es sich zu kämpfen lohnt“.