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Wahrnehmungsverschiebung

Polizeipräsenz im Übermaß vor dem Landgericht Mannheim beim Prozess gegen eine Weinheimer Ärztin, die angeblich falsche Gesundheitszeugnisse ausgestellt haben soll: mit fünf Mannschaftswagen waren die Ordnungshüter auf Anordnung des Vorsitzenden Richters der 12. Kleinen Strafkammer des Landgerichts angerückt. Foto: er

SERIE, Teil 5: Monika Wagner beobachtete das Berufungsverfahren vom 07. November 2023 bis 20. Februar 2024 vor dem Landgericht Mannheim gegen eine Weinheimer Ärztin und deren Praxisangestellte wegen des Verdachts auf Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse

Heute berichten wir in unserer Serie vom Tag 5 der Berufungsverhandlung, 11. Dezember 2023

Teil 1 ist nachzulesen unter: www.de-fakt.de/deutschland/details/?tx_ttnews

Ich will gerade die Wohnung verlassen, da klingelt das Telefon. Eine Freundin und ehemalige Patientin von Dr. Jiang krächzt in den Hörer. Ihre Stimme ist weg. Ich verstehe kaum was sie sagt. Sie ist krankgeschrieben und will sich mitteilen.

Ich werde ungeduldig, denn wenn ich ihr zuhöre komme ich zu spät zum Gericht. Ich möchte aber auch nicht unhöflich sein. Nachdem ich mir eher zusammenreime, als tatsächlich verstehe was sie sagt, unterbreche ich das Gekrächze und sage ihr, dass ich nicht mehr rechtzeitig beim Gericht ankomme, wenn ich nicht sofort losgehe.

Sie bietet mir an mich abzuholen und mit dem Auto hinzufahren, aber das scheint mir übertrieben. Sie kommt zwar nicht zu den einzelnen Verhandlungen läßt sich aber haarklein berichten was passiert.

Videoanlage ist sichtbar abgeschaltet

08:58 Uhr der Glaskasten ist leer. Ich habe Glück, es sind noch nicht alle Zuschauer durch die Kontrolle. Schließfach, Fotografieren des Ausweises, elektronische Durchsuchung, Metalldetektor, Abtasten. Ich betrete nahezu zeitgleich mit der Kammer den Gerichtsaal.

Die Videoanlage ist sichtbar abgeschaltet. Die Kameras sind zur Decke gerichtet, bewegen sich auch bei eingeschalteten Mikrofonen nicht.

In den beiden für die Presse reservierten Sitzreihen hat wieder nur der Lokalreporter seinen Platz eingenommen. Die Zuschauerreihen sind gut gefüllt, dennoch sind Plätze frei.

Mitarbeiterin von Dr. Jiang macht von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch

Der Vorsitzende Richter Dr. Hirsch verteilt die schriftlich fixierten Entscheidungen des Gerichts zu diversen Anträgen der Verteidigung. Die Schöffinnen wurden nicht ausgetauscht. Dr. Hirsch erklärt, dass die Mitarbeiterin von Dr. Jiang von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht.

Rechtsanwalt Willanzheimer hat die Gründe seiner Mandantin so präzise schriftlich dargelegt, dass der Vorsitzende Richter die Zeugin ausgeladen hat. Von nun an verfolgt sie den Prozess als Zuschauerin, zur moralischen Unterstützung ihrer Chefin.

Dr. Hirsch betont erneut, seitens der 12. Kleinen Strafkammer sei die Beweisaufnahme abgeschlossen. Die Kammer wird den Vertreter der Bezirksärztekammer nicht als Zeugen vorladen.

„Datenschutz für Prozessbeobachter nicht gewährleistet“

...same procedure as last time..., die Verteidiger rügen die sicherheitspolizeiliche Anordnung, insbesondere die Erfassung der Personalausweise und betonen, dass dies, aus ihrer Sicht, ein Verstoß gegen das Öffentlichkeitsgebot darstellt.

Der Datenschutz für die Prozessbeobachter sei nicht gewährleistet. Die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes wird erneut gerügt.

(Ich komme mir vor wie auf einer französischen Landstraße, ein Kreisverkehr nach dem anderen - mit dem Unterschied, dass das Verkehrssystem dort funktioniert, während es hier stets in einer Sackgasse mündet.)

Sitzungspolizeiliche Anordnung wird aufrechterhalten

...same procedure as every time..., die Sitzung wird unterbrochen, die Strafkammer zieht sich zur Beratung zurück. Beschluss der Kammer: Die sitzungspolizeiliche Anordnung wird aufrechterhalten.

Es folgt ein weiterer Befangenheitsantrag seitens der Verteidigung gegen den Vorsitzenden Richter Dr. Hirsch und die beiden Schöffinnen. Die Staatsanwältin König wird gefragt, ob sie ebenfalls eine Erklärung abgeben möchte - will sie nicht.

Es folgt ein neuer Beweisantrag der Verteidigung. Die Verteidiger schätzen den Kenntnisstand derSchöffinnen aufgrund des Selbstleseverfahrens als mangelhaft ein, da die Vorgänge wie das Verfahren ins Rollen kam in der Akte anscheinend nur unzureichend abgebildet sind. (Dies kann ich in Unkenntnis der Akte nicht beurteilen.)

Kammeranwalt der Bezirksärztekammer ist zugleich leitender Oberstaatsanwalt

Um diese Kenntnislücken zu schließen möchten die Verteidiger, dass Jürgen Gremmelmaier als Kammeranwalt der Bezirksärztekammer Nordbaden in den Zeugenstand gerufen wird, da er das Ermittlungsverfahren gegen Dr. Jiang anregte.

Die Forderung Herrn Gremmelmaier als Zeugen anzuhören wird aus verschiedenen Blickwinkeln wiederholt. Aus Sicht der Verteidiger gab Herr Gremmelmaier in seiner Position als Oberstaatsanwalt die Verfahrensweise vor.

(Jetzt bin ich irritiert. Ja was denn nun? Ist er von der Bezirksärztekammer oder ist er Oberstaatsanwalt? Es dauert eine Weile bis ich es begreife, er ist offenbar beides in Personalunion. Dies wirft eine Menge Fragen auf.)

Die Verteidiger gehen davon aus, dass es ohne den Einfluß von Herrn Gremmelmaier erst gar nicht zu einer einseitigen Ermittlung seitens der Staatsanwaltschaft Mannheim gekommen wäre. Den Schöffinnen sei der Anzeigevorgang unbekannt, da dieser Bestandteil der ersten Akte ist.

(Was damit genau gemeint ist erschließt sich mir nicht. Möglicherweise die Akte aus der 1. Instanz vielleicht auch ein fehlender Part in den den Schöffinnen vorliegenden Unterlagen. Mich verwirrt das Ganze auch insofern da am Anfang einmal von einem Journalisten die Rede war, der Anzeige erstattet habe.)

Was ist hier Haupt- und was ist Nebentätigkeit?

Der Kammeranwalt der Bezirksärztekammer Nordbaden ist also gleichzeitig leitender Oberstaatsanwalt in Karlsruhe.

Darauf muss man erst mal kommen. Mir stellt sich die Frage, was ist hier Haupt- und was ist Nebentätigkeit? Bislang hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass das parallel geht.

Nicht nur aufgrund etwaiger Interessenskonflikte, sondern auch aufgrund der Fülle der jeweiligen Aufgabengebiete würde ich vermuten, dass beide Tätigkeitsfelder jeweils eines hauptberuflichen Engagements bedürfen.

Die Verteidiger weisen daraufhin, dass Herr Gremmelmaier, jetzt wieder in Position des Vertreters der Bezirksärztekammer Nordbaden, das berufsrechtliche Verfahren gegen die Angeklagte eingestellt hat.

Ermittlungsverfahren gegen Dr. Jiang zunächst eingestellt, kurz darauf wieder aufgenommen

Staatsanwältin R. stellte das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Dr. Jiang aber auch zunächst ein. Kurz darauf nahm sie die Ermittlungen mutmaßlich auf Betreiben von Oberstaatsanwalt Gremmelmaier dann wieder einseitig auf.

Um Licht in diesen verwirrenden Ermittlungsauftakt zu bringen sollten auf Wunsch der Verteidiger sowohl die Staatsanwältin R. als auch der Leitende Oberstaatsanwalt von Karlsruhe Gremmelmaier als Zeugen geladen werden.

Zeugenvernehmung im Selbstladeverfahren beantragt

Sofern die Kammer dies ablehnt, beabsichtigt die Verteidigung von der Möglichkeit des sogenannten Selbstladeverfahrens Gebrauch zu machen, um so die Zeugen zwecks Vernehmung vorzuladen.

Staatsanwältin König spricht sich dagegen aus und verweist auf § 56 HBKG wonach ein Strafverfahren Vorrang vor einem berufsrechtlichen Verfahren hat.

(Wie ich dem Internet entnehmen konnte verfügt Baden-Württemberg über fünf Präsidialgerichte: Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart, Heilbronn und Freiburg. Das Amtsgericht Mannheim untersteht als Präsidialgericht nicht dem Landgericht Mannheim sondern dem OLG Karlsruhe.)

Lange Sitzungsunterbrechungen sorgen für Unmut

Die Verteidiger beantragen erneut ein Rechtsgespräch. Die schriftliche Begründung des Befangenheitsantrags soll bis zum 12. Dezember 2023, 18 Uhr erfolgen. Die Sitzung wird von 10:15 bis 15 Uhr wegen Beratungsbedarf der 12. Kleinen Strafkammer unterbrochen.

Diese langen Unterbrechungen sorgen für einigen Unmut unter den von auswärts angereisten Zuschauern. Für mich ist das kein Problem, ich gehe einkaufen und dann nach Hause.

Als ich kurz vor 15 Uhr zurückkomme geht der Sicherheitscheck ziemlich zügig voran, denn die Zuschauerreihen haben sich merklich gelichtet. Die beiden Sitzreihen für die Presse sind erneut völlig verwaist.

(Die seit dem dritten Tag der Berufungsverhandlung eingeführten extrem langen Mittagspausen senken die Zahl der Prozessbeobachter am Nachmittag drastisch.

Das liegt jedoch keinesfalls an mangelndem öffentlichen Interesse, denn dieses ist zumindest in meinem Umfeld hoch. Aber viele, die sich für den Prozess interessieren können nicht teilnehmen, da sie in ihren eigenen Arbeitsprozessen stecken.

Wie ich aus persönlichen Gesprächen erinnere, hatten sich für den ersten Tag der Berufungsverhandlung einige Zuschauer extra Urlaub genommen. Aber spätestens nachdem der Richter die acht Folgetermine bekannt gab, war klar, dass diese nicht mehr an den weiteren Verhandlungstagen teilnehmen können.

Und die Zuschauer, die morgens teilweise erhebliche Anfahrtsstrecken in Kauf nehmen, wissen mit den langen Pausen nichts Sinnvolles anzufangen. Erschwerend kommt hinzu, dass seit dem dritten Verhandlungstag die nachmittägliche Sitzung jeweils äußerst kurz ausfiel, zwischen 10 Minuten bis maximal 1 Stunde.

Inwieweit hier Kalkül dahintersteckt weiß ich nicht. De facto sorgt dieser Sitzungsverlauf definitiv dafür, dass Teile der interessierten Bevölkerung schlicht nicht anwesend sind.

Umso wichtiger ist hier eine angemessene, objektive Berichterstattung durch die Presse, welche allerdings ebenfalls durch Abwesenheit glänzt.)

Rechtsanwalt Willanzheimer jetzt ein weiterer Wahlverteidiger von Dr. Jiang

Rechtsanwalt Willanzheimer nimmt nun wieder auf der Bank der Verteidiger Platz und erklärt er sei ab sofort ein weiterer Wahlverteidiger von Dr. Jiang.

Die Verteidiger stellen einen Antrag auf Beschränkung der Fallzahlen, gemäß dem Verfahren der Praxisangestellten bei der von 4.374 Fällen ein kläglicher Rest von sechs strittigen Attesten übrig blieb. Die in dem Ermittlungsverfahren angewandte Hochrechnung ist aus Sicht der Verteidigung nicht zulässig.

Staatsanwältin König ist dagegen. Sie betont es gehe um ein Urkundsdelikt, nicht um ein mathematisches Verfahren. Außerdem spricht sie sich gegen das gewünschte Rechtsgespräch aus.

Der Vorsitzende Richter Dr. Hirsch verkündet folgende Beschlüsse der Kammer:

1) Die Vernehmung von Oberstaatsanwalt Gremmelmaier als Zeuge wird abgelehnt.

2) Die Vernehmung von Staatsanwältin R. als Zeugin wird ebenfalls abgelehnt.

Das Gericht sieht die Einvernahme der gewünschten Zeugen als nicht notwendig an, da durch Vorhalte in der Hauptverhandlung gegenüber der Zeugin Hauptkommissarin Hertz die Klärung der Frage, wie es zu dem Ermittlungsverfahren kam bereits erwiesen sei. Der Antrag stelle eine Bewertung des Sachverhaltes dar, keine neuen Beweise.

3) Ein Rechtsgespräch wird abgelehnt.

Die detaillierte schriftliche Begründung der Beschlüsse wird von Dr. Hirsch vorgelesen und den Prozessbeteiligten in Kopie ausgehändigt. Es folgt eine weitere 15-minütige Unterbrechung der Sitzung.

Psychologische Kriegsführung im Sinne klassischer Zermürbungstaktik?

(Erneut verstärkt sich bei mir der Eindruck die langen und häufigen Pausen sind eine Art psychologische Kriegsführung im Sinne klassischer Zermürbungstaktik.

Dem Richter und den Schöffen ermöglicht es die Weiterarbeit im Hintergrund, die Rechtsanwälte tun sich da schon schwerer - ihre Büros sind in Hamburg. Die Zuschauer wissen nicht wie sie die Zeit sinnvoll überbrücken können, so dass der überwiegende Teil nach Hause fährt, ebenso die Presse.)

„Bereits damals waren gesundheitliche Gefahren durch Masken bekannt“

Nach der Pause folgt eine Erklärung von Rechtsanwalt Willanzheimer an die Staatsanwältin König gerichtet. Es geht um die Pflicht Masken zu tragen, gemäß der Verordnungen aus dem Jahr 2020. Willanzheimer weist auf die bereits zum damaligen Zeitpunkt bekannten gesundheitlichen Gefahren der Masken hin.

Ferner zitiert er den derzeit amtierenden Gesundheitsminister Karl Lauterbach: „Masken im Freien zu tragen ist Schwachsinn!“ Ebenso verweist er auf einen Artikel in der FAZ, in welchem eine neue Studie des Robert-Koch-Instituts zur Erkenntnis gelangte:

„Masken schützen minimal bis gar nicht!“ Daher stellt sich für ihn die Frage, aus welchem Grund soll hier eine Strafe erfolgen?

Der Vorwurf der Urkundenfälschung dient hier als Hilfsmittel, die gesundheitlichen Aspekte werden nicht berücksichtigt. Es liegt nicht einmal ein formaler Verstoß vor. Es gibt keine verletzten Personen durch die Masken-Befreiungsatteste.

Rechtsanwalt wünscht, dass die Staatsanwältin den Fall noch einmal überdenkt

Rechtsanwalt Willanzheimer wünscht sich, dass die Staatsanwältin König den Fall noch einmal überdenkt. Der Vorsitzende Richter Dr. Hirsch fragt die Staatsanwältin ob sie hierauf eine Erklärung abgeben möchte - sie verzichtet.

Rechtsanwalt Künnemann gibt bekannt, dass man die Staatsanwältin R. und Oberstaatsanwalt Gremmelmaier per Selbstladeverfahren durch den Gerichtsvollzieher zum 19. Januar 2024 als Zeugen lädt. Man habe den Termin 19. Januar 2024 und nicht die nächsten Verhandlungstermine gewählt da für den 18. Dezember 2023 die Vorladefrist zu kurz und der 29. Dezember 2023 im Hinblick auf die Weihnachtsfeiertage und Silvester problematisch erschien.

Weitere Beweisanträge zwecks Hinzuziehung von Sachverständigen bezüglich der Inhalte der Atteste und jeweiligen Verordnungen werden ebenfalls angekündigt. Der Vorsitzende Richter Dr. Hirsch wünscht, dass die Personen im Selbstladeverfahren auf den 29. Dezember 2023 geladen werden.

Nächster Sitzungstermin trotz >rundem Geburtstag< nicht verschoben

Die Verteidiger weisen daraufhin, dass Dr. Jiang am nächsten anberaumten Sitzungstermin ihren 60. Geburtstag feiert und bitten daher um eine Verschiebung. Dr. Hirsch lehnt auch diese Bitte ab und verkündet die Verhandlung wird hiermit für den heutigen Tag beendet und am 18. Dezember 2023, 09 Uhr fortgesetzt.

(Auch das passt für mich ins Bild der psychologischen Kriegsführung. In allen Akten ist das Geburtsdatum der Angeklagten vermerkt. D.h. es war schon bei der Festsetzung der weiteren Termine klar, dass einer auf einen „runden Geburtstag“ fällt. Ich bin gespannt wie sich das Gericht an diesem Tag gegenüber der Angeklagten verhält.)

Dies war meine Wahrnehmung des fünften Prozesstages. Aufzeichnungen der weiteren Prozesstage folgen jeweils freitags und montags. Hier geht's zu Teil 6: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews