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Prozess um Odenwälder Standortmarketing: Dem ersten Zeugen droht ein Ermittlungsverfahren

Sie haben keinen leichten Stand bei der Aufklärung der Standortmarketing-Affäre im Odenwaldkreis: Richter Helmut Schmied, und...

...Staatsanwältin Brigitte Lehmann, während der...

...Angeklagte Ex-Landrat Dietrich Kübler schweigt und seine drei Verteidiger/Innen mehr oder weniger Aufklärendes zum Prozess beitragen lässt.

Auch Hauptabteilungsleiter Oliver Kumpf (hier auf einem Archiv-Foto, links) bei seiner Aussage im Akteneinsichtsausschuss des Odenwaldkreises zur Standortmarketing-Affäre, muss nach seinen aktuellen Aussagen im Prozess gegen seinen früheren Chef ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft befürchten. Fotos: © by –pdh-

Verschwundene Aktenordner, Urkundenfälschungen und fragwürdige Zeugenaussagen: Strafverfahren gegen früheren Landrat Dietrich Kübler erfordert noch etliche Verhandlungstage

ODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Wie wickelt man ein von der EU gefördertes Projekt im Standortmarketing im sechsstelligen Euro-Bereich ordnungsgemäß ab, wenn der erwählte Auftragnehmer eine schriftliche Vertragsgestaltung ablehnt? Vor dieser Frage stand die Odenwald Regionalgesellschaft OREG in den Jahren 2012 bis 2014.

Seit vier Verhandlungstagen versucht im Schöffengericht Michelstadt der Amtsrichter Helmut Schmied, Licht in das Dunkel zu bringen, während sich die Beweisaufnahme durch widersprüchliche Zeugenaussagen, große Erinnerungslücken und anscheinend nachträgliche Dokumentenveränderungen bis zur Urkundenfälschung als äußerst schwierig erweist.

Dem früheren Landrat Dietrich Kübler (67, ÜWG) wird von der Darmstädter Staatsanwaltschaft Untreue durch illegale Bevorzugung einer bestimmten Werbeagentur bei dem Projekt vorgeworfen. Dadurch verweigerte Fördergelder und andere Schäden beziffert Staatsanwältin Brigitte Lehmann auf knapp 100.000 Euro.

Die fördernde hessische Wirtschafts- und Infrastrukturbank (WI-Bank) hatte die Auszahlung von etwa 70.000 Euro Fördergelder aufgrund schwerer Verfahrensfehler im Ausschreibungsverfahren verweigert. Hinzu kommen weitere rund 29.000 Euro, die nach Meinung der Staatsanwaltschaft Darmstadt auf Rechnungen der Werbeagentur ohne ausreichende Vertragsgrundlage gezahlt wurden. Dem Kreis entstanden weitere Kosten, die auf bis zu 400.000 Euro geschätzt werden.

Rückdatierte Unterlagen eingeschmuggelt?

Staatsanwältin Lehmann platzte zum zweiten Mal im Verfahren der Kragen, als am Dienstag der Zeuge Oliver Kumpf, damaliger und auch heutiger Hauptabteilungsleiter und rechte Hand des damaligen Landrats, von angeblichen Tischvorlagen und korrekter Information des Odenwälder Kreisausschusses (KA) während oder vor entscheidenden Sitzungen berichtete.

„Ich bin gehalten, Ermittlungen gegen Sie einzuleiten“, belehrte sie den Zeugen und gab ihm Gelegenheit, seine bezweifelten Angaben noch einmal zu überdenken. Kumpf beharrte auf seinen Aussagen, dass es Tischvorlagen und Information der Mitglieder gegeben habe, und es bleibt abzuwarten, wie sich die Staatsanwaltschaft dazu verhalten wird. Denn von bestimmten Unterlagen wird inzwischen vermutet, dass sie rückdatiert und später mit entsprechenden Texten den Protokollen zugefügt wurden.

Zeuginnen widersprechen sich diametral

Zwei weitere Zeuginnen widersprachen sich kurz nacheinander diametral. Wie bereits berichtet, degradierte der frühere Landrat die Leiterin der OREG-Wirtschaftsförderung, Gabriele Quanz, zur Sachbearbeiterin, weil sie nicht für seine Lieblingsagentur abgestimmt hatte.

An ihre Stelle war eine Sachbearbeiterin getreten, die vorbei an allen Anwärtern befördert wurde und von Mobbing berichtete. Meike Mayer behauptete, von ihrer Vorgängerin keine Unterlagen für ihre Aufgabe erhalten, keine Unterstützung gefunden zu haben und vom Personal geschnitten worden zu sein.

Sie habe beim Geschäftsführer insistiert sich vieles selbst erarbeitet. Erst spät habe der Geschäftsführer dafür gesorgt, dass sie sporadisch Unterlagen bekommen habe. Eines ihrer Hauptprobleme war zudem, dass die Werbeagentur sich weigerte, einem schriftlichen Vertrag zuzustimmen und stattdessen stets Auftragsbestätigungen verlangte.

Als dann erstmals im Juni 2013 in FACT über das Standortmarketing und vermutete Korruptionsvorfälle in dem Zusammenhang berichtet wurde, überdachte sie ihr Engagement in dem Bereich und wünschte sich ihre alte Position zurück. Stattdessen wurde ihr komplett gekündigt.

Dokumente nachträglich geschwärzt

Gabriele Quanz hingegen berichtete, dass sie ihrer Nachfolgerin sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen, Dokumente und Prospekte gegen Quittung überreicht hätte und ihr Zugriff zu allen Computer-Laufwerken ermöglicht habe. Den Vorwurf, sie hätte „gemauert“ könne sie nicht nachvollziehen. Die Strafkammer hat demnach noch viel Klärungsbedarf.

Mit einer neuen Überraschung konnte Quanz dennoch aufwarten. In Vorbereitung ihrer (nunmehr zweiten) Zeugenaussage hatte sie im Firmencomputer nach Unterlagen gesucht und gefunden, dass in verschiedenen Angeboten der obsiegenden Werbeagentur an die OREG nachträglich Schwärzungen im Leistungsspektrum vorgenommen worden waren, die nach ihrer Degradierung im April 2012 vorgenommen worden sein mussten.

OREG-Mitarbeiterinnen leisteten kostenlose Agenturarbeit

Es handelt sich um von der Agentur berechnete Werbetexte, die allerdings die OREG formulieren musste, um Termine zu halten. Die Arbeitszeit für diese Textstellen sollte nach den Angaben von Gabriele Quanz etwa drei Mannwochen betragen haben, was bei 38 Wochenstunden etwa 114 Arbeitsstunden bedeutet.

Diese nachträgliche Dokumentenverfälschung reiht sich ein in andere fragwürdigen Vorkommnisse. Zwei Aktenordner mit wichtigem Beweismaterial sind verschwunden oder wurden aufgelöst, Tischvorlagen existieren plötzlich, auch wenn fast niemand sich an sie erinnern kann, und mindestens ein Protokoll einer Entscheidungssitzung wurde nachträglich verändert.

Grund genug für den Vorsitzenden Richter, bis zu vier neue Verhandlungstermine anzuberaumen. Der nächste Termin wurde für Montag, 28. August, um 9 Uhr angesetzt. Dann soll ein Beweisantrag der Verteidigung Küblers abgearbeitet und noch einmal alle Kreisausschussmitglieder befragt werden.